Heute habe ich euch einen weiteren tollen Gastbeitrag zum diesjährigen Autoren-Adventskalender mitgebracht. Du findest sie auf Facebook, Instagram und bei den Mörderischen Schwestern. Viel Spass mit dieser unterhaltsamen Geschichte von Rebecca Schneebeli!
Wir sind die Familie Fröhlich. Eigentlich müsste Weihnachten bei uns froh und besinnlich sein. Aber das ist es nicht: Jedes Jahr ist Weihnachten eine riesige Katastrophe. Irgendetwas geht immer schief, aber dieses Jahr sollte Weihnachten schön und besinnlich werden. Für dieses besondere Weihnachten hatte meine Mutter wochenlang Kochbücher gewälzt, obwohl sie sonst in solchen Dingen total unqualifiziert ist und nur möglichst schnell etwas Essbares auf den Tisch bringt. Aber dieses Jahr sollte alles perfekt sein, denn meine Großeltern wollten zu Besuch kommen.
Nun kam es allerdings so, dass sie sich am Morgen von Heiligabend spontan entschuldigten. Bei ihnen in Oberbayern lag Schnee und mein Großvater fährt bei Schnee kein Auto. Richtig verstanden habe ich es nicht, denn wenn er weg vom Schnee wollte, hätte er ja einfach zu uns nach Mittelhessen kommen können. Hier lag nämlich immer noch keine einzige Schneeflocke. Aber gut, Weihnachten ohne Großeltern ist eh entspannter. Meine Großmutter hat nämlich die dumme Angewohnheit immer nach den Schulnoten zu fragen und mein Bruder Tom und ich sind nicht sonderlich gut in der Schule.
Am besten stelle ich erst mal meine Familie vor: Mein Vater arbeitet in mittlerer Position in einer Firma hier in der Gegend. Er regt sich immer über die kleinsten Dinge auf, ist aber sonst ganz in Ordnung. Meine Mutter hat früher im Orchester Geige gespielt und interessiert sich sowohl für klassische Musik und Opern als auch für hochliterarische Bücher. Meine ältere Schwester ist 18 Jahre alt, geht auf die Musikhochschule und ist nur zu Besuch über Weihnachten zu Hause. Sie heißt Elvira, nach einer Person aus der Oper „Don Giovanni“. Diese Oper ist nämlich die Lieblingsoper meiner Mutter. Wer bei meiner Schwester jetzt aber an eine fettleibige Opernsängerin denkt, liegt total daneben. Meine Schwester ist sehr schlank und macht immer, wenn sie zu Besuch ist, eine neue Diät. Nach meiner Schwester komme ich. Ich bin 16 und heiße Tatjana, werde aber nur von meiner Mutter, Elvira und meinen Großeltern so genannt. Alle anderen nennen mich Jana. Mein Bruder Tom ist drei Jahre jünger und computersüchtig. Er spielt lauter extrem beliebte Computerspiele, die ich entweder nicht kenne, nicht verstehe oder in denen ich grottenschlecht bin. Dann haben wir noch einen Nachzügler: Robin. Er ist erst 6 Jahre alt und redet von nix anderem als von Pokemon, die er sammelt und mit deren Namen er uns bezeichnet.
Also dieses Weihnachten sollte perfekt werden und zum Essen sollte es Flugente geben. Dabei aßen das weder Tom noch ich, und Elvira machte mal wieder die neuste Trennkostdiät und durfte nur ungesüßten Joghurt und Salat essen. Aber das störte meine Mutter in ihrer Essenswahl nicht. Die Flugente war eh bereits gekauft, schließlich hatten wir mit meinen Großeltern gerechnet. Vor dem Essen wollten mein Vater und Tom jedoch noch dessen neues PC-Spiel ausprobieren. Während die Flugente im Ofen brutzelte, las meine Mutter auf Empfehlung von Reich-Ranicki „Das Parfum“ und meine Schwester las ein Buch, was „Das richtige Abnehmen“ hieß. Beides nicht unbedingt etwas, was ich als gute Lektüre gesehen hätte. Robin probierte seine neue Pokemon-Figur aus. Diese sagte immer Pikachu, wenn man ihr auf den Bauch drückte, und natürlich konnte Robin davon gar nicht genug kriegen. Ich dachte mir in dieser Situation, dass ich ja meine neue CD ausprobieren könnte. Also machte ich die CD mittelmäßig laut an.
Kaum fing die Musik an zu spielen, schrie meine Schwester auf, als ob ihr körperliche Schmerzen zugefügt würden: „Mach das aus! Das beleidigt meine Ohren!“
Glücklicherweise ging meine Mutter dazwischen, bevor wir uns die Augen auskratzten. In dieser Situation erschien Tom.
Er schrie laut: „Der Computer ist abgestürzt! Der Computer ist abgestürzt!“
Kaum hatte mein Bruder das verkündet, hörten wir auch schon unseren Vater fluchen: „So ein Scheiß! Dieses Mistding funktioniert nicht! Meine ganzen Daten sind gelöscht! Wir müssen jemanden kommen lassen!“
„Aber doch nicht an Weihnachten“, entgegnete meine Mutter.
„Mach doch mal einer diesen Krach aus“, schrie mein Vater.
Elvira schaltete schadenfroh meine CD aus.
„Ich rufe einen Computerexperten an“, sagte ich, um meinem Vater zu zeigen, dass ich mitdenke.
Mein Vater und Tom gingen zurück zum PC und ich suchte im Telefonbuch nach einem Computerexperten und rief bei mehreren Agenturen an, aber bei allen Agenturen war nur der Anrufbeantworter dran. Dann rief ich bei Leuten an, von denen ich wusste, dass sie Ahnung von PCs hatten. Aber niemand war bereit zu kommen, bei manchen ging noch nicht mal jemand ans Telefon. Während dieser Aktion meinte meine Mutter mindestens zehnmal, dass es unmöglich sei, an Weihnachten die Leute zu belästigen. Und mindestens tausendmal musste ich mir anhören, wie der neue Pokemon Pikachu sagte. Schließlich schickte meine Mutter Robin auf sein Zimmer. Bei uns allen lagen die Nerven blank, auch ohne alle 5 Minuten eine Computerstimme Pikachu sagen zu hören.
Als nach einer Viertelstunde meine Mutter beschloss trotz des Computer-Crashs die Flugente zu essen und ich in den oberen Stock ging, um Robin zum Essen zu holen, war Robin weg!
Ich guckte auch in den anderen Zimmern im oberen Stockwerk, aber nirgendwo eine Spur von Robin! Ich lief nach unten. Vielleicht war er ja da irgendwo. Ich suchte im ganzen Haus und auch alle anderen drehten jeden Stein um und guckten hinter jedem Sofa. Keine Spur von meinem kleinen Bruder! Wir bemerkten, dass seine Winterjacke nicht mehr an der Garderobe hing und suchten auch im Garten und riefen auf der Straße seinen Namen. Dennoch kein Robin! Nirgendwo!
So gingen wir ins Haus zurück und setzten uns deprimiert ins Wohnzimmer. Mein Vater hielt meine etwas hysterische Mutter davon ab, die Polizei anzurufen, bevor nicht eine halbe Stunde vergangen wäre. Das nahm meine Mutter aber persönlich und lieferte sich mit meinem Vater einen ordentlichen Streit, so dass schließlich die Türen knallten und Elvira, Tom und ich allein im Wohnzimmer saßen. Wir saßen frustriert da und keiner dachte mehr an die Flugente!
Dann nach einer weiteren Viertelstunde klingelte es an der Tür. Tom, Elvira und ich sprangen gleichzeitig auf und rannten zur Tür. Auch mein Vater und meine Mutter kamen angerannt. Vor der Tür stand tatsächlich Robin und noch so ein Typ, etwas älter als ich.
Wir überrumpelten Robin mit Fragen: „Wo warst du?“ „Was hast du dir dabei gedacht?“ „Wie konntest du uns das nur antun?“ „Dir hätte etwas passieren können!“
Aber Robin sagte nur mit seiner kindlichen Stimme: „Das ist der Axel. Der kennt sich super mit Computern aus. Der ist der Bruder vom Michi. Der macht unseren Computer wieder heile!“
„Kommen Sie erst mal rein“, meinte meine Mutter zu dem Typen namens Axel.
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Typ ja knatschgrüne Haare hatte.
„Geile Frisur!“, sagte ich bewundernd zu ihm.
„Ja, finde ich auch“, sagte er. „Nur meine Eltern finden’s net so toll!“
„Kann ich verstehen“, antwortete ich, aber er hatte sich schon meinem Vater zugewandt und fragte ihn, wo „denn der olle PC stände“.
Tom, der Typ und mein Vater gingen zum Computer und ich ging mit meiner Mutter und Robin in die Küche, um nach der vergessenen Flugente zu schauen. Die Flugente war NUR außen verbrannt und meine Mutter schabte einfach das Verbrannte ab. Yummy!
Nach knapp einer halben Stunde kamen die Männer in die Küche. Der Computer lief wieder und alle verlorenen Daten waren rekonstruiert. In der Zwischenzeit hatte meine Mutter zu der Flugente noch Pommes gemacht. Wir luden Axel zum Essen ein. Das nahm er gerne an. Tatsächlich lobte er während des Essens immer wieder Mutters Flugente, was mir völlig unverständlich war. Ich habe nämlich auch ein Stückchen probiert, aber geschmeckt hat sie mir nicht. Richtig zugelangt haben bei der Flugente nur mein Vater, Robin und Axel. Meiner Mutter behagte der Geschmack der Flugente sichtbar nicht, obwohl sie sie doch mit so viel Mühe zubereitet hatte; Tom wollte nicht mal probieren und Elvira machte ja ihre Joghurt-Diät.
Das Essen war eigentlich recht witzig: Mein Vater, Tom und ich unterhielten uns angeregt mit Axel. Meine Mutter redete allerdings nur aus Höflichkeit mit ihm und Elvira versuchte es nicht mal. Wahrscheinlich sind seine grünen Haare eine Beleidigung für ihre Augen, dachte ich bei mir. Nach dem Essen wollte Axel gehen und ich brachte ihn noch zur Türe.
„Falls du Silvester nicht auch in dieser Chaosfamilie verbringen willst, ich schmeiß’ an Silvester ‘ne Party bei mir. Haste nicht Bock zu kommen? Dein Bruder kann dir erklären, wie du zu mir kommst“, sagte er lapidar.
„Hört sich gut an. Vielleicht hab’ ich ja Bock. Wann fängt die Party denn an?“
Ich wollte nicht zu viel Interesse zeigen, aber bisher hatte mich noch nie ein Junge zu einer Silvesterparty eingeladen und ich fühlte mich ein wenig geschmeichelt.
„Du kannst so ab acht Uhr kommen. Tschüss dann.“
Ich sagte „Ciao“ und schloss die Tür. Elvira, die unser Gespräch mitgekriegt hatte, teilte mir entsetzt ihre Meinung dazu mit: „Du willst doch wohl nicht auf dessen Party gehen?! Der und seine Freunde nehmen gewiss Drogen!“
„Ach, Quatsch!“, sagte ich. „Wieso soll ich net dahingehen? Viel verrückter als dieses Weihnachtsfest kann es ja kaum werden.“
Dann ging ich ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer und hörte meine neue CD von Wheatus mit meinem Lieblingslied „Teenage Dirtbag“.
Dies ist ein Beitrag, der im Autoren-Adventskalender 2023 erscheint. Dort gibt es weitere Geschichten, Gedichte und andere Beiträge rund um Weihnachten und Ostern.
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