Frühling im Herzen (Leseprobe)

Nur helfen

Danielle summte ein fröhliches Lied, als sie die Haselnuss-Schokoladenchip-Cookies in den Ofen schob, den Alarm einstellte und sich von der Schürze befreite. Sie freute sich auf den süssen Duft, der bald durch ihre kleine Backstube und den Laden schweben würde. Vor den Fenstern kündigte sich ein sonniger Tag mit leuchtenden Berggipfeln an.

Sie trat in den vorderen Raum von Danielles Büchercafé – wunderschöne Geschichten und Schlemmereien, wie es ihr Herz begehrte. Die verschnörkelten Tische luden zum Verweilen ein, pastellfarbene Kissen auf den Stühlen und ganz viele Details sorgten für eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Gestern hatte sie gar Frühlingsblumen auf den Tischen verteilt.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. In einer halben Stunde würden die ersten Gäste das Café mit Leben und Lachen füllen. Sie trat an eines der vier niedrigen Regale, die dem Raum eine verwinkelte Atmosphäre gaben, und zog ein Buch heraus. Der Umschlag zeigte eine Frau von hinten mit wehendem, dunklem Haar. Im Bann des Gedankenlesers. Sie liebte die fantastische Geschichte um das zurückhaltende Mädchen, das ihre eigene Kraft und noch viel mehr in sich fand. Wie bei allen Büchern in ihrem Café hoffte sie, dass es der eine oder andere für sich entdeckte.

Mit einem letzten Streicheln über das Cover stellte sie es zurück, als der Alarm des Backofens sie aus ihren Gedanken riss. Sie holte die Cookies aus der Wärme, schaltete den Ofen aus und liess die Köstlichkeiten auskühlen, ehe sie die zuvor gebackenen Muffins in die Vitrine stellte. Auf einigen Cupcakes verteilte sie Buttercreme und Zuckerstreusel, die Zimtschnecken arrangierte sie auf einem verschnörkelten Teller und für den Genuss mit weniger Reue machte sie die Karottenküchlein bereit.

Jedes Stück stellte Danielle mit Liebe her. Alles, was sie tat oder in ihr Sortiment aufnahm, hatte sie eigenhändig ausgesucht. Sie lächelte, als ihr Blick durch das Café wanderte und schliesslich an ihren Händen hängen blieb. Ein paar Krümel klebten am Finger. Sie schleckte ihn ab, wusch sich die Hände und desinfizierte sie.

Die Türbimmel meldete den ersten Gast, und Danielle sah auf. »Guten Morgen, Jakob«, begrüsste sie ihren Freund und setzte Wasser auf. »Wie geht es dir?«

Der Forstwart arbeitete oft im Wald rund um das gemütliche Café und besuchte sie jeden Morgen mit der Tageszeitung, um in der Pause einen Tee zu geniessen. Er nickte ihr zur Begrüssung zu und setzte sich an den Tisch in der Ecke, von dem aus er den ganzen Raum überblicken konnte, auch wenn es um diese Uhrzeit noch nichts zu überblicken gab. »Morgen. Ob er gut ist, kannst du selbst entscheiden«, brummte er.

Mit gerunzelter Stirn gab sie einen Löffel Schwarztee in einen Teebeutel, legte ihn in die Tasse und füllte diese mit heissem Wasser auf. Zum üblichen Smiley-Keks spendierte sie heute eine Zimtschnecke. Vielleicht munterte die ihn auf.

Mit all den Köstlichkeiten beladen, balancierte sie zu Jakob und stellte Tee und Gebäck vor ihm auf den Tisch, doch dieser sah nicht einmal von der Zeitung auf. Danielle schob sie mit dem Zeigefinger nach unten. »Was ist los?«

Jakob knurrte, besah sich seinen heutigen Tee und vertiefte sich wieder in die Zeitung. Die musste er selbst mitbringen. Das hier war ein Wohlfühlcafé, und die News liessen höchstens schlechte Laune aufkommen.

Sie seufzte. »Ich sage ja schon lange, dass Zeitungen ein Stimmungskiller sind.«

Er brummte abermals, faltete seine Zeitung jedoch zusammen und sah sie mit wütend funkelnden Augen an. »Lena ist mit den Kindern abgehauen.«

Vor Schreck blieb Danielle der Mund offen stehen. Ihr Herz war wie erstarrt. Jakob und Lena, seit der Schule das Traumpaar schlechthin. Selbst Danielle drei Klassen unter den beiden hatte das mitbekommen. Sie konnte nicht fassen, dass Lena nun abgehauen war und Jakob hinter sich gelassen hatte, um ein neues Leben zu beginnen.

Sie holte tief Luft und legte Jakob eine Hand auf den Unterarm. »Warum hast du nichts gesagt? Ich wäre doch zu dir gekommen.«

Er schnaubte. »Na klar, damit löst du alles. Vielleicht gehst du zu Lenas neuem Lover, bietest ihm einen Tee an und vielleicht so eine doofe Zimtschnecke, damit er meine Frau in Ruhe lässt, du Beziehungsexpertin.«

Jedes Wort war wie ein Hammerschlag in ihrem Brustkorb. Es presste ihr die Luft aus der Lunge, fegte den Kopf leer. Um sich von der beklemmenden Enge zu befreien, holte sie tief Luft. »Ich wäre für dich da gewesen«, piepste sie.

Jakob lachte bitter auf. »Sie ist weg! Da brauche ich keinen Tee oder albernes Gebäck. Ich will Lena und meine Kinder.« Er fegte mit einer ausladenden Handbewegung alles vom Cafétisch, sprang auf und sauste wutentbrannt hinaus.

Der heisse Tee tränkte ihr Frühlingskleid und die Strümpfe, brannte auf ihren Oberschenkeln, doch Danielle blieb regungslos stehen, bis der nasse Stoff die Haut kühlte. Sie starrte zur Tür, auch dann noch, als die kleine Glocke schon längst verstummt war.

Sie hatte ihm doch nur eine Freundin sein wollen. Er brauchte jemanden, dem er von seinem Leid berichten und sein Herz ausschütten konnte. So jemanden brauchte jeder.

»Ich wollte doch nur helfen«, flüsterte sie, atmete tief durch und räumte das Chaos auf. Dass ihr Freund sie derart angefahren hatte, liess sie hilflos zurück. Die roten Oberschenkel waren ihr egal. Er hatte ihre Hilfe ausgeschlagen, wollte sie nicht in seinem Leben haben – und das nach allem, was sie erlebt hatten, und ihrer jahrelangen Freundschaft zum Trotz.

 

Mit einem neuen Kleid und einem breiten Lächeln im Gesicht bediente sie ihre Gäste, die den Laden stürmten. Danielle hatte in Lokalzeitungen schon Berichte über ihr Café gelesen, dass die Besucher von ihren Tees, den Büchern und dem Gebäck schwärmten und teilweise nur schon deshalb einen Abstecher zu ihr machten. Dabei lag das Café in keinem hübschen Dorf, sondern mitten im Nirgendwo am Berg, einsam und still. Auf den Ansturm, den sie seit diesem Frühling erlebte, hatte sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt.

Zwei junge Frauen standen vor dem Tresen und betrachteten die Auswahl an Kuchen, Keksen und Leckereien, die noch in der Vitrine lagen.

»Ich kann Ihnen auch noch Cookies mit Schokolade oder ein paar Bananen-Kokosnuss-Muffins bereitmachen. Das dauert nur ein paar Minuten«, bot sie den beiden an.

Die kleinere Frau mit den blonden Haaren sah auf. »Oh, einen Bananen-Kokosnuss-Muffin, bitte!« Ihre Augen strahlten. »Und welchen Tee können Sie empfehlen?«

Danielles Herz hüpfte, als sie den Gast durch das Sortiment führte, sie nach Vorlieben fragte, ihr einen Vorschlag nach dem anderen machte, bis sie schliesslich bei einem süssen Chai mit einer Note von gerösteter Haselnuss landeten. Mit flinken Händen mischte sie die Kräuter und Gewürze zusammen, gab sie in einen Beutel und goss heisses Wasser in die Tasse. »Den Muffin bringe ich Ihnen an den Tisch, sobald er bereit ist.«

Die andere Frau bestellte sich einen einfachen Kaffee und ein Karottenküchlein.

Als Danielle mit dem warmen Muffin auf einem Teller wieder ins Café trat, erhellte sich ihre Miene. Sandra war da! Sie brachte die bestellte Köstlichkeit und machte sich voller Vorfreude daran, ihrer Freundin und sich selbst den Bergminzetee zuzubereiten, den sie so liebten. Inzwischen wuchs die Minze in ihrem Garten und durfte so stark wuchern, wie sie wollte.

Sandra setzte sich mit einem Nicken an den letzten freien Tisch und wartete geduldig darauf, dass Danielle Zeit für sie fand. Die Brünette mit den kurzen Haaren beobachtete die Gäste, die schlanken, langen Beine übereinandergeschlagen. Ihr Fuss wippte in einem stummen Takt.

Seufzend setzte sich Danielle zu Sandra an den Tisch. »Hast du schon das Neueste gehört?«, fragte sie niedergeschlagen. Während sie die Gäste bediente, konnte sie sich von den Sorgen des Morgens ablenken, doch vor Sandra konnte sie nichts verheimlichen.

Diese nickte. »Lena ist abgehauen.«

»Hast du jemals gedacht, dass die beiden sich trennen würden?« Danielle wärmte ihre Finger an der Teetasse, die sie hin und her drehte. »Sie haben so gut zueinander gepasst.«

Sandra verdrehte die Augen. »Nicht jedes verheiratete Paar passt so gut zueinander wie deine Buchschwärmereien.«

Wie vor den Kopf gestossen, hob Danielle eine Augenbraue. »Buchschwärmereien?«

»All die Zauberhelden da drin, die ihre Schwerter gegen unbesiegbare Gegner schwingen und im Bett die besten und einfühlsamsten Liebhaber sind, die du dir vorstellen kannst.« Ein Funkeln in Sandras Blick unterstrich den Sarkasmus in ihrer Stimme.

Jetzt war es an Danielle, die Augen zu verdrehen. Unmöglich, so etwas. »Sie schwingen ja nicht nur Schwerter und Zauberstäbe, sondern auch himmlische Worte, um ihre Frau zu kriegen. Und ein Happy End braucht es. Ein kleines zumindest, damit der Leser hoffen kann.«

»Wieso zerstören dich dann all diese Bücher?« Sandra machte eine weit ausholende Armbewegung, die den gesamten Raum mit einschloss.

Danielle lächelte milde. So oft hatte sie ihrer besten Freundin schon erzählt, wieso sie Bücher so sehr liebte, wieso jedes einzelne ein Diamant war, dessen Glanz noch zu wenige Leute entdeckt hatten. »Weil jedem von ihnen ein ganz eigener Zauber innewohnt. Es sind Geschichten, die das Herz berühren, die einen zittern lassen, in Angst und Schrecken versetzen, bis man in tausend Stücke zerfällt, um sie dann sachte und Splitter für Splitter wieder zusammenzufügen, bis man neu geboren ist. Das ist der Moment, in dem du aufwachst und dich in der echten Welt wiederfindest. Du liegst in deinem Bett, hast einen Drachen gerufen, kuschelst dich auf dem Sofa ein und gehst mit einem Traummann wandern.« Ihre Augen glänzten verklärt.

Sandra schmunzelte. »Das weiss ich ja, Dani. Aber ich fürchte, dass du eines Tages aufwachst und entdeckst, dass dich kein Mann mehr begeistern kann. Einen Traummann wie in deinen Büchern gibt es im echten Leben nicht.«

Danielle machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dann schnappe ich mir Jakob.« Wie oft hatten sie sich diesen Scherz erlaubt? Danielle und Jakob waren miteinander aufgewachsen, ihre Gärten nur durch ein schief hängendes Holztor voneinander getrennt. Doch heute blieb das Lachen aus, der Stachel vom Morgen sass noch immer tief und hinterliess einen bitteren Nachgeschmack.

»Das würde ich sein lassen«, entgegnete Sandra und beugte sich verschwörerisch vor. »Er soll Lena geschlagen haben.«

»Nein!« Einige Gäste drehten sich um, um sie neugierig zu mustern. Danielle ignorierte die Blicke und senkte ihre Stimme. »Das kann nicht sein. Jakob ist der fürsorglichste Mann, den du dir vorstellen kannst.«

Unbeeindruckt zuckte Sandra mit den Schultern und schob sich den Smiley-Keks in den Mund. »Ich habe es schon von Herbert und Maria gehört. Ausserdem kursierte das Gerücht schon einmal. Erinnerst du dich?«

Danielle verengte die Augen etwas. »Das ist Jahre her.« Sie konnte nicht verstehen, wie einem Mann wie Jakob solche Vergehen angedichtet werden konnten. Er liebte seine Familie über alles, die Niedergeschlagenheit von heute Morgen konnte er nicht gespielt haben.

»Vielleicht hatte er sich zwischenzeitlich im Griff, aber gestern ist ihm die Hand wieder ausgerutscht?« Sandra zuckte mit den Schultern.

Danielle rollte mit den Augen. Dass Sandra ihn nicht besonders sympathisch fand, wusste sie. Mit den Anschuldigungen stiess ihre Freundin sie dennoch vor den Kopf, und sie verteidigte ihren Freund automatisch. »Noch ist nichts bewiesen, also sollten wir ihn wie einen normalen Mann behandeln.« Um ihre eigene Unsicherheit zu verstecken, hob sie die breite Porzellantasse mit dem Bergminzetee bis vor die Nase.

»Das musst du ja sagen.« Sandra lächelte nachsichtig, als wäre Danielle ein kleines Kind, das sich noch nicht von seinen Träumen verabschieden konnte.

Danielle legte den Kopf schief und blickte ihre Freundin möglichst vorwurfsvoll an. Sie sollte ruhig spüren, dass sie mit den Anschuldigungen nicht einverstanden war, die gegen Jakob erhoben wurden. Dabei wusste sie, dass nicht nur Sandra das dachte, sondern bald das ganze Dorf darüber tratschen würde. »Wenn dich jemand so beschuldigen würde, stünde ich dennoch hinter dir – selbst dann, wenn du mir gestehst, dass du es tatsächlich getan hast.«

Hell klang Sandras Lachen durch den Raum und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Gäste wieder kurz auf die beiden tratschenden Frauen. »Du weisst ganz genau, dass ich so was nie tun würde.«

»Das weiss ich bei Jakob auch«, verteidigte sie ihren Freund und hoffte, dass wenigstens Sandra ihr glaubte. Wenn nicht einmal die beste Freundin hinter ihr stand, fühlte sie sich dumm und nicht ernst genommen – wobei man dumme Leute selten ernst nahm.

»Dani, ich weiss, dass du Jakob magst. Er ist auch ein netter Junge, nur … manchmal etwas unheimlich.« Entschuldigend hob sie die Schultern und verzog die Lippen zu einem undefinierbaren Strich zwischen einem Lächeln und dem Versuch, sie zur Vernunft zu bringen.

»Junge?«

»So kindisch, wie er sich manchmal benimmt, kann man ja auch nicht von Mann sprechen, oder?«

»Sprichst du hinter meinem Rücken auch so unbarmherzig über mich?«, fragte Danielle, die Nase leicht gerümpft. Ihr war nicht klar, was Sandra gegen Jakob hatte. Schon seit einer Ewigkeit lästerte sie bei jeder Gelegenheit über ihn.

Die Hairstylistin lächelte schwach und trank ihren Tee leer. »Natürlich nicht, Dani. Du bist meine beste Freundin, und ich stehe hinter dir. Das heisst aber nicht, dass ich jeden unterstützen muss, hinter dem du stehst.« Sie zwinkerte ihr zu, ehe sich ihr Blick in der Weite verlor. »Ich frage mich nur, was aus ihrem Haus wird.«

»Das Haus gehört doch ihm?«

Sandra schüttelte den Kopf und stellte die Tasse auf den Untersetzer. »Er hat es von seinen Eltern geerbt, das stimmt. Aber um es ganz für sich zu haben, musste er seine beiden Schwestern auszahlen. Dafür hatte er aber offensichtlich nicht genug Geld.«

Fassungslos schüttelte Danielle den Kopf und starrte ihre Freundin bewundernd an. »Woher weisst du das alles?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Auch Bankberater tuscheln viel, wenn ich ihnen den Kopf wasche.« Sie zwinkerte abermals, sich ihrer magischen Hände vollends bewusst. »Der Typ damals hat einfach so aus dem Nähkästchen geplaudert. Natürlich weiss ich nicht, was seither geschah, aber ich glaube nicht, dass er es geschafft hat, Lena das Geld zurückzugeben. Immerhin hat sie seit der Geburt der Kinder nicht mehr gearbeitet, und er kam für alles auf.«

 

Herr Unangenehm

Tief in Gedanken versunken, verzierte Danielle die übrig gebliebenen Himbeer-Cupcakes, die sie am Morgen spontan gebacken hatte. Nachdem sie vergebens auf Jakob gewartet hatte, hatte sie sich in die Backstube zurückgezogen, neue Kreationen ausprobiert und einige Teesorten in Beutel abgefüllt, um sie in die Verkaufsbox neben der Kasse zu legen. Heute waren es herbe Mischungen, die sie anbot. Es passte zu ihrer Stimmung.

Draussen schien die Sonne, als könnte kein Regen sie jemals trüben. Genau genommen konnte keine noch so dicke Wolke das. Danielle war überzeugt, dass es der Sonne piepegal war, ob sie auf ihre Haut schien oder nicht.

Das Türbimmeln riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah auf. Selbstsicher trat ein Mann ein und sah sich um. Die Sonnenbrille hätte er im Café bestimmt nicht gebraucht, aber vermutlich fand er, dass sie gut zu seiner dunkelbraunen Lederjacke passte. Erst nach einer Weile schien er sie zu entdecken und kam auf den Tresen zu, ein überhebliches Zahnpastalächeln im Gesicht.

»Guten Tag«, begrüsste er sie mit einer überraschend tiefen Stimme, die sie einem solchen Schnösel nicht zugetraut hätte.

Danielle erwiderte das Lächeln wie gewohnt, auch wenn ihr heute nicht danach war. Jahrelange Arbeit hatte sie darauf konditioniert, stets eine freundliche Fassade aufrechtzuerhalten, auch wenn sie insgeheim mit den Gedanken weit weg war. »Herzlich willkommen. Was wünschen Sie?«

Sein Lächeln vertiefte sich, während er sie statt der Gebäckauslage betrachtete. »Was können Sie mir denn empfehlen?«

Etwas verunsichert deutete Danielle auf ihre Leckereien. »Heute habe ich Himbeer-Cupcakes im Angebot. Dazu könnte ich Ihnen einen leckeren Tee nach Ihrem Geschmack mischen.«

Eine Augenbraue wanderte über den Rand seiner Sonnenbrille in Richtung der dunkelblonden Haare. »Tee?« Es hörte sich weniger nach einer Frage als nach einer Verurteilung an.

Danielle nickte tapfer. »Es gibt ganz verschiedene Geschmacksrichtungen. Süss, herb, fruchtig, kräftig, mit Kräutern, Minze …« Nur mit Mühe konnte sie sich ein sauer verkneifen.

Der Mann sah zum Fenster hinaus. »Gibt es hier keinen anderen Schuppen, der mir einen guten Kaffee brüht?« Es fehlte nur noch, dass er mit dem Fuss aufstampfte, um seine Ungeduld zu unterstreichen.

Bei der Vorstellung kicherte Danielle. »Hier in der Wildnis bestimmt nicht. Aber wie wäre es mit einem sauren Tee?« Jetzt war es raus. Irgendwelche Kräuter und Früchte würde sie schon finden, die ihm den Kiefer zusammenziehen würden. Wenn es wirklich sein musste, konnte sie immer noch eine Zitrone auspressen.

»Kaffee.« Er wirkte nicht sehr erfreut darüber, dass sie sich einen Spass erlaubt hatte, während irgendetwas in seinem Magen grummelte – oder vielleicht war er auch einfach ein Miesepeter.

»Ich kann Ihnen auch einen langweiligen Kaffee machen, wenn Sie das wünschen.« Ohne ein weiteres Wort machte sie sich an der Maschine zu schaffen, füllte Pulver in den Kolben und drehte ihn ein. Wenige Augenblicke später lief das braune Gesöff in eine Tasse.

»Wenigstens haben Sie noch eine echte Kaffeemaschine.«

Überrascht drehte sich Danielle zu ihm um. Diesmal wirkte sein Lächeln ehrlich und stimmte sie etwas wohlgesonnener. Sie kannte diese Art von Gästen, die mit hocherhobener Nase antanzten und an allem herummeckerten.

»Deshalb bin ich hier. Ich habe sie von draussen gesehen.« Er zückte einen losen Zehner. »Und auch ein wenig wegen eines Motorenschadens. Wie viel macht der Kaffee?«

»Keine Zimtschnecke?«, wagte sie es, ihn in Versuchung zu führen.

Er stützte sich auf der Theke ab und schien sie von oben bis unten zu mustern. Vielleicht beobachtete er auch nur ihre Reaktion. Hinter der Sonnenbrille konnte sie rein gar nichts erkennen. »Wenn Sie sich selbst damit meinen, dann vielleicht.«

Danielles Lachen erstarb in der Kehle. Entsetzt starrte sie den Mann an, der sie als Zimtschnecke bezeichnet hatte. Sie hoffte, dass ihre Augen wütende Funken sprühten, als sie einkassierte und ihm sein Wechselgeld gab. Sie legte nicht einmal den Smiley-Keks zu der Tasse. Das hatte sie noch nie gemacht.

»Zimtschnecke …«, murmelte sie, als er sich mit legeren Bewegungen an einen der Tische setzte und die Beine ausstreckte, bis seine Schuhe die Füsse des Mädels nebenan berührten. Dieses sah auf, errötete und entschuldigte sich hastig, was ihm ein selbstgefälliges Lächeln entlockte.

Was für ein Arschloch. Angeekelt wandte sich Danielle ab und machte sich daran, die Auslage mit den verbliebenen Köstlichkeiten neu zu sortieren. Einiges an Gebäck hatte sie heute schon verkauft, mehr als an einem normalen Freitag. Vielleicht sollte sie noch ein paar Cookies in den Ofen schieben?

Eine Zimtschnecke war noch übrig. Hm … so allein konnte sie sie nicht da drin lassen. Mit spitzen Fingern klaubte sie sie aus der Vitrine, legte sie auf einen Teller und naschte davon. Zimtschnecken hatte sie als erstes Gebäck selbst gemacht, mit Haselnüssen, Butter und geraffelten Äpfeln. Noch immer liebte sie keine andere Köstlichkeit so sehr. Sie liess sich den weichen Teig auf der Zunge zergehen, genoss die saftige Süsse und den warmen Zimtgeschmack. Für eine Sekunde schloss sie die Augen, genoss den Moment.

Manchmal war es so einfach, aus dem Alltag auszubrechen. Ein Stück Kuchen, ein Tratsch mit der besten Freundin – es brauchte nicht immer eine zweiwöchige Reise nach Mallorca.

Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf den überheblichen Mann, der seine werbetauglichen Zähne zur Schau stellte. Er sah sie mit leicht schiefem Kopf an und schien sich mit ihr zu freuen – oder machte sich über sie lustig.

Entschlossen drehte sie sich weg und putzte übergründlich die Arbeitsfläche. Sie wusste, wie kindisch es wirkte, vor allem, wenn er sie wirklich beobachtete. Aber im Moment konnte sie nichts anderes tun, ausser vielleicht etwas zu backen. Aber es war zu spät, so viele Gäste würden nicht mehr kommen.

Sie räumte die Tische, sobald ein paar Leute das Café verliessen, jemandem konnte sie gar ein Buch verkaufen. Glücklich sah sie der jungen Frau hinterher, als sie um die Ecke verschwand, und hoffte, dass sie die Geschichte ebenso inhalieren würde wie sie selbst.

Ein Schatten legte sich auf die Theke und riss Danielles Aufmerksamkeit auf sich. Der unsympathische Mann grinste sie an, als wäre er der Sechser im Lotto. Sollte sie ihm das vielleicht sagen? Doch sie schwieg und wartete geduldig, was er von ihr wollte.

»Die letzte Zimtschnecke ist weg.« Verdammt! Das mit dem Mund halten hatte wohl doch nicht so gut geklappt.

Sein Lächeln vertiefte sich, wurde dadurch jedoch nicht sympathischer. »Ich weiss.« Er warf einen flüchtigen Blick nach draussen, wo die Nachmittagssonne den hübschen Vorplatz in ein warmes Licht tauchte. »Können Sie mir ein Taxi rufen?«

»Wie bitte?«, rutschte es Danielle heraus.

»Ein Taxi«, brummte er und wirkte gar ein wenig beleidigt. »Mein Auto springt nicht mehr an. Das letzte Stück musste ich zu Fuss gehen.«

»Rufen Sie doch selbst an.« Es entsprach so gar nicht ihrer Arbeitseinstellung. Sie liebte es, Menschen eine Freude zu bereiten und das Strahlen in ihren Augen zu sehen, wenn sie Zimtschnecken und Himbeer-Cupcakes naschten, und in der Not bot sie auch gern eine helfende Hand an. Nun konnte Danielle jedoch nicht anders, als schadenfreudig zu grinsen. »War dem Wagen die Steigung zu gross?«, fragte sie und wusste nicht so recht, ob sie ihm einen zu tief gelegten Sportwagen oder einen verlotterten Karren wünschte. Der Sportwagen würde ihn reuen, falls er hinüber war. Die Lotterkiste wollte er vermutlich nicht zeigen, was beweisen würde, dass er nicht so einflussreich war, wie er tat.

»Motorschaden«, erklärte er knapp und presste die Lippen aufeinander. »Und mein Handy habe ich dort liegen lassen.«

Versöhnlich nahm Danielle ihr Handy vom Regal hinter dem Tresen und suchte die Nummer des Taxiunternehmens. Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern, als sie es ihm hinhielt. Der Anruf war vorbereitet. »Hier, bitte.«

Mit einem letzten zweifelnden Blick drehte er sich von ihr weg. Traute er ihr etwa zu, dass sie ihn in die Irre führte und absichtlich eine falsche Nummer eintippte?

Eine Bewegung auf dem Vorplatz erhaschte ihre Aufmerksamkeit. Mit breitkrempigem Sonnenhut und einem enganliegenden, marineblauen Kleid trat Sandra ein und warf Herrn Unangenehm einen neugierigen Blick zu. Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach unten, was Danielles Grinsen noch breiter werden liess. Ihre Freundin besass ein untrügliches Gespür für ihre Mitmenschen.

»Hallo, Sandra! Schön, dass du da bist. Darf ich dir einen Tee bringen?« Sie freute sich wirklich, ihre Freundin heute noch zu sehen, obwohl diese in ihrem Salon genug zu tun hatte.

Sandra nickte und entledigte sich ihres Hutes, ehe sie sich seufzend auf einen Stuhl plumpsen liess, was so gar nicht zu ihrem eleganten Outfit passte. »Eigentlich wollte ich nur kurz vorbeischauen, ich muss noch weiter. Aber da stand ein Sportwagen mitten auf der Strasse, ich kam nicht vorbei …« Sie musterte den unsympathischen Kerl erneut. »Dem könnte er gehören. Sah teuer aus. Aber mach dir keine Sorgen, Dani, der Abschleppdienst ist vor Ort. Wahrscheinlich ist das störende Ding schon auf dem Weg ins Tal.«

Danielle presste die Hand vor den Mund, um nicht laut zu lachen. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie der Typ toben würde, sobald er davon erfuhr. »Es ist sein Auto«, gestand sie im ersten Moment, in dem sie sich selbst traute, dass kein Lachen hervorbrach.

Sandra zuckte mit den Schultern. »Wäre er etwas netter, könntest du etwas mit ihm anfangen. Er ist heiss und scheint Kohle zu haben. Hätte ich ihn vor meiner Heirat gesehen, wer weiss …« Sie zwinkerte übermütig.

Danielle brachte ihr einen Kamillentee, den sie mit etwas Orangenschale und einem Schuss Vanillesirup aufpeppte. »Er hat sich aufgeführt wie ein König.«

Sandra nickte und holte Luft, um etwas zu sagen, verstummte jedoch, als der Mann an den Tisch herantrat und Danielle das Handy zurückgab. »Das Taxi wird in einer Stunde da sein.« Sein Blick verharrte einen Moment auf Sandra, die sich seiner Aufmerksamkeit wohl bewusst war, sie aber gekonnt ignorierte.

Danielle schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Tatsächlich tat er ihr ein wenig leid. »Darf ich Ihnen noch etwas anbieten? Ein Wasser, vielleicht etwas Süsses?«

»Die Zimtschnecken sind ja schon alle.« Ein freches Grinsen erschien auf seinen Lippen. »Ich habe noch ein paar Sachen im Wagen, die ich holen muss. Falls das Taxi vor mir hier ist, lassen Sie es bitte warten.«

Sich ein Seufzen verbietend, nickte sie und wartete, bis der überhebliche Mann ihr Café verlassen hatte. Die Vorstellung, dass er tobend zurückkehren würde, weil sein Wagen beim Abschleppdienst auf ihn wartete, stimmte sie nicht besonders zuversichtlich.

»Was für ein Idiot.«

Überrascht wandte sich Danielle an Sandra. So kannte sie ihre Freundin nicht. Normalerweise war sie Sonnenschein pur, niemand konnte ihre Freude trüben. Doch jetzt wirkte sie angespannt. »Was ist los?«

Überrascht hob sie die Augenbrauen und sah Danielle verwirrt an. »Was soll schon los sein?«

»Ich kenne dich, Sandra. Sonst freust du dich, wenn einem reichen Typen das Auto abgeschleppt wird.« Sie legte den Kopf schief und verengte die Augen etwas. »Ausserdem trägst du diesen aggressiv roten Lippenstift, den ich dir am liebsten jedes Mal aus dem Gesicht kratzen würde.« Um ihre Worte zu unterstreichen, wirbelte sie mit den Händen durch die Luft.

Sandra schnaubte. »Vielleicht ärgere ich mich einfach, dass ich ihn mir nicht geschnappt habe.«

Danielles Kopf kippte noch weiter zur Seite. »Natürlich.« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. »Als ob du dir einen reichen Idioten schnappen würdest. Du hast doch Tom, mit ihm bist du glücklich.«

Mit einem tiefen Seufzen fuhr sich Sandra durch ihre dunkelbraunen Haare und schüttelte sie durch. Danielle verstand nicht, wie die Kurzhaarfrisur danach immer noch sass. »Ich hatte einen Termin bei der Bank. Erinnerst du dich? Vor ein paar Jahren habe ich mal etwas in einen Investitionsfond einbezahlt. So mit hohen Gewinnen und Rendite oder wie das Zeugs alles heisst. Tja, davon ist fast nichts mehr übrig.«

Danielle stockte für einen Moment der Atem. »Du hast das gemacht? Du?« Das sah ihrer seriösen Freundin überhaupt nicht ähnlich. Sie erkundigte sich lieber neunmal als nur achtmal.

Sandra schnaubte und spielte wieder mit ihren Haaren, auf die Danielle manchmal ein wenig eifersüchtig war. Ihre hellbraunen, kerzengeraden Fäden waren nicht der Rede wert, also band sie sie meist zu einem Pferdeschwanz zusammen. Kurz geschnitten kamen sie einer Katastrophe gleich.

»Ich war auch mal jung«, antwortete sie heftig, sah Danielle dabei aber nicht in die Augen. »Und stolz bin ich auch nicht drauf.« Sie verdrehte die Augen, als müsste sie sich als Teenager vor ihrer Mutter für einen feuchtfröhlichen Abend rechtfertigen.

Danielle kicherte. »Alles gut.«

»Nein, alles weg!«

Erleichtert lachte Danielle auf. »So viel wird es schon nicht gewesen sein.«

Der bitterböse Blick ihrer Freundin belehrte sie eines Besseren. »Fünf Tonnen sind noch da von fünfzig.«

Danielle klappte der Mund auf. Fünfzigtausend Franken hatte ihre Freundin investiert. Fünfzigtausend! Das war unglaublich. Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie mit dem Geld alles anfangen würde.

Doch, sie wusste es. Ihr Blick glitt an den Regalen entlang zu ihren geliebten Büchern, von unbekannten Autoren selbst veröffentlicht, deshalb aber nicht weniger unterhaltsam, aufregend oder fantastisch. Sie würde Bücher kaufen, bis sie ein zweites Haus bräuchte. Einen neuen Laden eröffnen könnte, irgendwo in einer Stadt, in der es mehr Bücherratten gab als hier.

Fünfzigtausend Franken.

»Wie gut sah denn der Typ aus, dass du ihm das Geld gegeben hast?«, fragte Danielle. Immer noch schwirrte ihr die Zahl im Kopf herum, bis ihr fast schwindelig wurde.

Sandras strafender Blick wies sie in ihre Schranken. »Nur weil ein Mann gut aussieht, vertraue ich ihm nicht mein ganzes Vermögen an. Ich bin ja nicht dumm.« Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Handy und warf einen kurzen Blick darauf. »Er hat es logisch erklärt, hat sich eben gut verkauft. Es hörte sich so genial und bombensicher an.« Sie seufzte.

Danielle lehnte sich zurück. »Ich wollte dich nicht beleidigen, Sandra. Das weisst du.«

Sie nickte, atmete tief ein und trank ihren Tee in einem Zug leer. »Am liebsten würde ich eine rauchen, aber damit ist jetzt Schluss. Zu teuer.« Warnend hob sie einen Zeigefinger in die Luft, sah sie mit weiten Augen an und rauschte aus der Tür.

Danielle sass wie vor den Kopf gestossen am Tisch und lauschte der Bimmel, deren Klingeln verstummte. Was war nur mit ihren Freunden los?

Inzwischen war das Café bis auf einen älteren Herrn leer. Auf dem Weg zum Tresen nahm sie Sandras Teetasse und das Geschirr vom Nachbartisch mit, um ein wenig Ordnung zu schaffen. Sie hasste Krümel auf den Tischen und getrockneten Tee in den Tassen.

Als sich die Tür abermals öffnete, hob Danielle den Blick und erstarrte für einen Moment. Wieder so selbstbewusst wie beim ersten Mal trat der junge Sportwagenbesitzer ein, kam schnurstracks auf sie zu und zog die Sonnenbrille von der Nase. Kaffeebraune Augen sahen sie durchdringend an und raubten ihr den Atem. Wie sie mit den dunkelblonden Haaren harmonierten! Danielle schluckte nervös. Wenigstens gutaussehend war er.

»Der Wagen ist weg. Jemand hat den Abschleppdienst gerufen. Was für eine Schweinerei ist das denn?« Er schnaubte. »Können Sie mir vielleicht etwas Geld für das Taxi leihen?«

Danielle stellte sich betont langsam aufrecht hin und stemmte die Hände in die Seiten. »Die Zimtschnecke soll Ihnen also Geld leihen?«

Sein selbstsicherer Ausdruck zerbröselte unter ihrem harten Blick. Sie mochte keine Angeber, erst recht keinen wie ihn, der andere auch noch zur Schnecke machte, auch wenn es Zimtschnecken waren.

Er seufzte zerknirscht. »Das tut mir leid.« Er zuckte mit den Schultern und wirkte dadurch wie ein Schuljunge, dem Danielle am liebsten alle Fehler gleich verziehen hätte. »Ich habe ein Meeting. Es ist wichtig. Mein Auto ist weg, und ich kann das Taxi nicht bezahlen. Wenn ich nicht in der nächsten halben Stunde losfahre, verpasse ich den Termin.«

Danielle verkniff sich eine bissige Bemerkung und gab sich ahnungslos. »Wieso ist das Auto denn weg?«

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, verharrte einen Augenblick und holte schliesslich tief Luft. »Sie wissen es doch. Abgeschleppt. Ihre tolle Freundin hat es veranlasst.« Seine Kiefer mahlten, die Muskeln traten deutlich hervor.

Fast so wie bei Patrick Swayze, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht gönnte sie sich heute Abend Dirty Dancing. Wie dieser Mann die Frau durch den Raum wirbelte, war einfach grandios, zudem hatte er ihr gefallen, als er noch jung gewesen war. Ein bisschen zumindest.

Sie beförderte die eigenen Gedanken wieder in die Gegenwart und zwang sich zu einem Lächeln. »Okay, ich wollte Sie etwas aufziehen. Aber das mit der Zimtschnecke nehme ich Ihnen nach wie vor übel.« Danielle holte zwei Hunderterscheine aus der Kasse und reichte sie ihm. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden, falls Sie das Geld jemals wieder zurückbringen möchten.«

Mit offenem Mund starrte er erst auf das Geld, dann musterte er Danielle, als sähe er sie zum ersten Mal. »Danke. Ich … Wenn Sie mir Ihre Bankdaten geben, überweise ich Ihnen das Geld. Natürlich zahle ich es Ihnen zurück.«

Sie lachte leise in sich hinein. »Das hört sich eher nach einer Drohung an.«

Er erwiderte ihr Schmunzeln, es wirkte sogar ehrlich.

»Einen Moment bitte«, entschuldigte sie sich, trat in die Küche hinter dem Café und hinauf in den ersten Stock in ihr Büro.

Als sie wieder nach unten trat, hatte der Mann ein Buch aus dem Regal genommen. Sie erkannte es auf den ersten Blick und lächelte. »Eine wunderschöne Geschichte, aufregend und tiefgründig zugleich.«

Als hätte sie ihn ertappt, fuhr er herum, fasste sich aber augenblicklich wieder. »Sagen Sie das zu jedem Buch hier? Was ist das überhaupt?« Betont langsam drehte er sich um die eigene Achse und schloss mit der Bewegung das ganze Café ein.

Danielle streckte ihm den Einzahlungsschein entgegen und presste die Lippen aufeinander. Diese Frage hörte sie so oder in ähnlichen Formen immer und immer wieder, aber meist waren die Leute wirklich neugierig. Doch er stellte sie so abfällig, als wollte sie ihm einen Misthaufen als Fünf-Sterne-Menü verkaufen.

»Hier, bitte sehr.« Fast schon herrisch drückte sie ihm den Einzahlungsschein in die Hand und brachte sich hinter der Theke in Sicherheit.

Dort fanden ihre Hände etwas zu tun, ohne dass sie sich ständig fragen musste, ob sie Herrn Unangenehm vor die Tür bitten oder ihm eine klatschen sollte. Vielleicht benannte sie ihn auch in Herrn Arrogant um. Wobei, den gab es schon. Ein russischer Herr im Winter hatte sich einen halben Tag darüber beschwert, dass es zu wenig Schnee für seine Pferdeschlittenfahrten hatte und die anderen Gäste mit seinem Gejammer vertrieben.

Er legte die Arme auf den Tresen, als sie diesen mit dem Lappen abwischte. »Das Taxi braucht noch eine Viertelstunde. Vielleicht lasse ich mich doch zu einer Zimtschnecke einladen.« Die tiefe Stimme hätte sie auch dann erkannt, wenn sie nicht gerade noch mit ihm gesprochen hätte.

Danielle atmete schwer und sah auf, den Lappen umklammerte sie fester. »Erstens lade ich Sie ganz bestimmt nicht ein. Zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Ihnen einen Lappen ins Gesicht werfe, deutlich grösser, als dass Sie eine Zimtschnecke bekommen. Drittens würde ich Sie mit Ihrer arroganten Art am liebsten einfach vor die Tür setzen. Und viertens ärgere ich mich über alle Massen, dass Sie mich dazu gebracht haben, unhöflich zu werden.« Ihre Augen funkelten wütend, als sie seinem Blick mit Leichtigkeit standhielt.

Ein feines Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht und liess die Sonne in seinen Augen strahlen. »Dafür, dass Sie mir gerade mit einem Lappen gedroht haben, drücken Sie sich erstaunlich höflich aus. Vielleicht werde ich Ihnen Ihr Geld doch noch überweisen.«

Danielle seufzte. »Das Geld ist mir egal. Ich will einfach nicht beleidigt werden. Irgendwo hat alles seine Grenzen. Und entweder bestellen Sie jetzt etwas oder Sie gehen einfach. Ob Sie sich in eine Ecke setzen oder gleich aus meinem Café verschwinden, ist mir egal.«

Er blinzelte, als hätte sie ihn verwirrt, doch Danielle wusste zu gut, dass sich diese Sorte Mann nicht wirklich verwirren liess. Die waren alle selbstbewusst, Belehrungen oder Beleidigungen perlten an ihnen ab wie der Regen von neuen Regenschuhen.

»Ich hätte gern eine Zimtschnecke.«

»Wie gesagt, ausverkauft.« Genervt verdrehte sie die Augen.

»Das sehe ich.«

Danielle hob eine Augenbraue. »Also?«

Er grinste frech, lenkte aber ein, ohne sie aus den Augen zu lassen: »Mischen Sie mir einen Tee und legen irgendetwas Süsses dazu.«

Danielle wollte etwas erwidern, fand aber nicht die richtigen Worte. Sie seufzte ergeben. »Was mögen Sie denn?«

»Am liebsten keinen Tee.«

Sie rollte überdeutlich mit den Augen. »Sie sind mir aber ein angenehmer Gast.«

»Diesen Eindruck hatte ich bisher nicht.«

»Dann geben Sie sich endlich Mühe.« Ohne dass sie es wollte, formten sich ihre Lippen zu einem Lächeln, das sie so schnell nicht wieder loswurde. Noch nie hatte sie einem Gast gesagt, dass sie ihn lieber vor der Tür wüsste. Noch nie hatte sie ein unsympathischerer Mann zum Schmunzeln gebracht.

»Wenn ich meine Zimtschnecke endlich …«

Danielle reichte es. Sie warf ihm den feuchten Lappen mitten ins Gesicht. Wie in Zeitlupe löste sich das blaue Stück Stoff und fiel auf den Boden.

Er starrte sie an, den Mund geöffnet, und doch brachte er eine Weile kein Wort heraus. »Machen Sie das mit all ihren Gästen?«

»Wenn sie unartig sind.« Danielle zuckte mit den Schultern, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.

Er seufzte. »Sind Sie Mutter? Meine war nämlich auch so unbarmherzig, wenn es ums Zuhören ging.«

Danielle verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Mutter wollte sie nicht sein, da hätte sie ständig das Gefühl, versagt zu haben. »Wollen Sie jetzt einen Tee oder nicht?«

Ergeben hob er die Hände seitlich an. »Irgendeinen. Machen Sie mir den besten, den Sie haben.«

Ihr Blick wurde weich, als sie an die vielen Sorten dachte, die sie hier und im Vorratsraum bunkerte. »Tees gibt es so viele. Fruchtig, würzig, mild, mit Kräutern, ohne, reiner Schwarztee, Rotbuschtee, mit beruhigender Wirkung oder kräftig … Das Teeuniversum ist riesig. Den besten Tee gibt es nicht. Aber es gibt für jeden Menschen in jeder Lebenslage den richtigen Tee.« Sie zwinkerte ihm zu, räusperte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie mit Herrn Unangenehm sprach, und stellte sich aufrecht hin. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich werde mir etwas für Sie einfallen lassen.«

Überrascht musterte er sie, kam der Aufforderung aber nach.

Danielle mischte einen Schwarztee mit wenig Zimt und einem klitzekleinen Schuss Amarettosirup. Er mochte Zimt, sonst hätte er nicht auf die Zimtschnecke bestanden, und den Kaffee trank er schwarz. Er brauchte etwas Kräftiges. Als Überraschung war der Amarettosirup gedacht.

Manchmal, vor allem im Winter, nahm sie bei Freunden nicht den Sirup, sondern richtigen Amaretto. Dann sassen sie stundenlang im Café beieinander, tratschten und lachten, bis die Angst vor dem klingelnden Wecker am nächsten Morgen sie in die Federn trieb.

Sie legte zwei Smiley-Kekse dazu und einen Cashew-Cookie auf einen separaten Teller. Dafür hatte sie gesalzene Kerne gekauft, damit auch die Leute etwas naschen konnten, die lieber nicht allzu süsse Leckereien hatten.

Er sah kurz auf, als er die beiden Smileys entdeckte, und legte die Stirn in Falten.

Danielle schmunzelte. »Sie waren mir extrem unsympathisch, deshalb habe ich den einen beim Kaffee weggelassen. Aber jetzt dürfen Sie ihn haben.«

»Jetzt bin ich nicht mehr unsympathisch?«

»Doch, aber vielleicht nicht mehr so sehr.«