Drachentanz (Leseprobe)

Prolog

 

Dein Licht ist erloschen, dein Lachen vergangen. Ich habe gesehen, wie deine Seele den Körper verlassen hat, wie du in dich zusammengefallen bist.

Eigentlich hatte ich mit dir abgeschlossen, es wenigstens geglaubt. Doch der Schmerz beweist das Gegenteil. Bei Seylanis dürrem Arsch, dein Lachen, das Strahlen deiner Augen … Du hast die Freude in mein Leben zurückgebracht, wenn auch nur kurz. Du hast mein Leben zurückgebracht.

Nun hast du den Tod auf dem Schlachtfeld gefunden. Es tut weh, zerreisst mich. Dabei hättest du ein Zuhause, einen liebenden Mann und eine Kinderschar verdient. Ich wünschte dir alles Glück im Leben, alles, was du dir erträumtest. Ich hätte es dir von Herzen gegönnt.

Doch es sollte nicht sein.

So unterschiedlich wir auch waren, so viele Gemeinsamkeiten habe ich entdeckt. Nach und nach, Stück für Stück.

Am liebsten hätte ich dich an mich gedrückt, wenigstens ein einziges Mal. Dich gerochen, deine Haut unter meinen Fingern gespürt. Aber du hättest es nicht zugelassen – nicht bei mir.

Dein Leben habe ich zur Hölle gemacht, dein Lachen im Keim erstickt. Deine Leistungen waren in meinen Augen nichts wert.

Doch du warst die Einzige, die den Mut fand, mich zu suchen. Du warst die Frau, die mich beflügelte und mein Leben erst lebenswert machte. Die mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ich würde meine Seele hergeben, könnte ich noch einmal einen Kampf gegen dich fechten. Gegen dich und dein Schwert, das bis in alle Ewigkeit mit dir tanzt.

Möge Doana dir einen Neuanfang schenken. Möge deine Seele erneut erstrahlen und Sonne in den Herzen der Menschen um dich herum verbreiten. Mögest du, mein Herz und mein Leben, gross und stark werden, wie du es in diesem Leben warst. Möge Doana ihre Hand schützend über dich halten, während du zu einer wunderschönen Frau heranwächst. Möge sie dir all das zu Füssen legen, worauf du im vergangenen Leben verzichten musstest.

Möge Seylani mir beistehen, wenn der Hund seinen Kopf verliert. Ich werde ihn richten.

Für dich, für deine enttäuschten Träume.

Für mich.

 

Ketten 

SUNYU

 

Sunyus Schritte hallten durch den dunklen Palast. Schwer und dunkel klangen sie, wie die drohenden Trommelschläge, wenn ein Heer vor den Toren zum Angriff bläst. Wie der Nebel, der nicht nur droht, eine Stadt zu verschlingen, sondern es tut, bis er alles Leben erstickt. Wie die See, die gegen den Fels brandet, um in Tausenden von Jahren das Land zu vernichten. Ein Drache auf der Suche nach Rache.

Doch es war weder ein Heer noch ein Drache, der auf dem Weg zu Vilgrims Gemächern war. Es war viel schlimmer.

Er war es, Sunyu.

Blutrote Flammen schossen aus seiner Hand auf die verschlossene Tür zu. Mit einem ohrenbetäubenden Knall barst das Holz in winzige Stücke, die bis in den hintersten Winkel von Vilgrims steinernem Palast stoben und ihm den Weg frei machten. Ohne seinen Lauf zu verlangsamen, trat Sunyu unter dem noch brennenden Türrahmen in das Gemach des Fürsten.

Vilgrim stand spärlich bekleidet vor seinem Bett und starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Neben ihm stand Kirjana, seltsam berührt, als er für einen Wimpernschlag ihren Blick suchte. Doch Sunyus Aufmerksamkeit galt dem kleinen, kalten, schäbigen Fürsten.

»Du hast sie umgebracht!«, grollte Sunyu. Seine Stimme donnerte durch den Raum, verstärkt von seinen wütenden Flammen, die bis weit über seinen Kopf loderten. Mit jedem Wort, bei jedem Atemzug stoben sie auf, spiegelten das wider, was in seinem Inneren vor sich ging.

Chaos. Wut. Hass. Und wie er Vilgrim hasste, diesen Scheisskerl, den er am besten bei der ersten Begegnung schon zu Seylani und ihrem verfluchten Arsch geschickt hätte.

Selbst Weltenspalter summte nicht mehr. Nein, er schrie.

Vilgrim schluckte, doch seine Stimme klang betont gelassen. »Du hast den Befehl an deine Männer gegeben.«

Sunyu zerriss innerlich. Das wohlgehütete Geheimnis in seiner tiefsten Seele, das goldene Licht in der Dunkelheit, erlosch. Nichts hielt ihn mehr auf, keiner stellte sich ihm in den Weg. Vilgrim ahnte nicht, dass er mit diesen Worten sein eigenes Ende besiegelt hatte.

Jeder Schritt fühlte sich an wie eine Stufe auf dem Weg zur Göttin des Todes. Schwere Glockenschläge in seinem Bauch, die das Atmen erschwerten, die Kälte anlockten. Doana würde auch einem elenden Hund wie Vilgrim einen Neuanfang gewähren. Diese Gnade war zu gütig für diese falsche Schlange.

»Du wusstest es?« Er hob das flammende Schwert an. Die das Licht schluckende Klinge glühte unter seinem wütenden Feuer auf, das die Farbe von frischem Blut trug und sich nach dem Lebenssaft verzehrte.

Alles in ihm brannte: sein Herz, seine Brust, die Augen. Doch Sunyu wollte keine Schwäche zeigen. Für sie.

Vilgrim lächelte. »Wir wissen vieles nicht, nicht wahr, Sunyu?« Ein wenig strahlte er wieder die Selbstsicherheit aus, die ihn für gewöhnlich umgab. Er warf Sunyu einen kurzen Blick zu, ehe er sich an Kirjana wandte.

Erst jetzt fiel Sunyu auf, dass die Offizierin gefesselt war. Sie folgte Vilgrims Bewegungen mit den Blicken, in ihren Augen standen gar Tränen. Kirjana weinte nicht. Er kannte sie als starke Frau – eine Offizierin, die für ihre eigenen Wünsche kämpfte.

Vilgrim umrundete sie, bis er wieder vor seinem Bett stand. »Wusstest du, dass sie und Amelia Freundinnen sind? Dass sie sich aus der Zeit kennen, als Kirjana noch kein Freiwild war?«

Sunyu schluckte. Die Ruhe des Fürsten verunsicherte ihn. Ein flammendes, Welten durchtrennendes Schwert war auf Vilgrim gerichtet, doch er faselte von Kirjana und ihren Freundinnen?

»Sie wollten mich hintergehen.« Vilgrims kalte Stimme liess ihn aufhorchen.

Kirjana warf dem Bastard einen Blick zu, ehe sie die Augen zukniff. Ihre Hand entspannte sich und entliess einen Dolch aus dem harten Griff. Er klimperte hell, als er auf dem Steinboden aufschlug.

Der Blick des Schmieds wanderte nach oben. Seine Freundin – die einzige Larhun, der er je vertraut hatte – weinte lautlos. Heisse Tränen benetzten ihre Wangen.

»Sie wollte mich im Namen der ehemaligen Fürstin von Grimsvik ermorden.« Vilgrim lächelte einseitig, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Die hellen Flammen in seinem Inneren glühten in den kalten Augen. Sunyu wusste, wie gefährlich das eisige Feuer war, doch sein eigenes brannte heftiger. Sobald er das blasse Gesicht der jungen Schmiedin vor seinem inneren Auge sah …

Er brummte und hielt im selben Moment inne. Tindra hatte ihm gesagt, er sei brummig – nein, ruppig. Dabei hatte sie leise gelacht und sich von ihm abgewandt, doch die Freude in ihren Augen schimmerte noch immer – in seiner Erinnerung.

Lebhaft sah er sie vor sich, wie sie beschwingt neben ihm auf dem Kiesweg gehüpft war, um ihn nach dem Grund seiner schlechten Laune zu fragen. Er hatte sie barsch abgewiesen.

Wie er sie vermisste! Der Schmerz riss sein Herz in hundert Stücke und warf sie in alle Himmelsrichtungen davon. Sie war tot. Tot!

Vilgrims Mundwinkel zogen sich nach oben. Bevor Sunyu reagieren konnte, schlugen Flammen aus der Hand des Fürsten und entrissen ihm Weltenspalter. Sunyus Schwert sog Vilgrims Kräfte in sich auf, als hätte es heute noch nicht genug gesammelt, obwohl es so viele Leben in sich aufgenommen hatte. Es freute sich, jubelte. Die Waffe gierte nach mehr Macht, nach Blut und Leben.

Und Vilgrim bot vieles davon. Sein Feuer würde hineinsickern und die Waffe stärken. Sobald Sunyu sie wieder in den Händen hielte, würde er davon profitieren. Alles, was sie kostete, stärkte ihn. Das Frohlocken der Klinge in ihrem Rausch drang bis zu seinem zerrissenen Herzen.

Der Fürst entliess Weltenspalter mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Griff seines Feuers. Es klimperte, als die Klinge auf den steinernen Boden fiel, für Sunyu unerreichbar.

Wieder flackerte Vilgrim auf. Seine Augen leuchteten so hell wie sein Feuer und fixierten Sunyu. Er wirkte besessen, wie er sich auf den Bastard konzentrierte. Ohne Vorwarnung schossen die Flammen auf Sunyu zu und hüllten ihn komplett ein. Kälte umfing ihn. Jeder einzelne Gedanke formte sich unkontrollierbar träge. Unter dem lodernden Eis, das der Fürst ihm entgegenwarf, prickelte seine Haut, als würden Hunderte von Nadeln ihn drangsalieren. Sein Körper erlahmte. Er war gezwungen, das zu tun, was der Fürst von ihm verlangte.

Vilgrim drehte sich zu Kirjana um. »Zieh dich aus.«

Sunyu wusste nicht, was kälter war: Vilgrims Feuer, seine Stimme oder die Augen. Er fror, die Härchen auf Armen und Beinen richteten sich auf, obwohl er innerlich glühte.

Verunsichert huschte Kirjanas Blick von Vilgrim zu Sunyu und wieder zurück. Ihre Stirn war leicht gerunzelt, die Lippen geöffnet. Sie traute ihrem Fürsten nicht.

»Zieh dich aus!« Vilgrims Finger fuhr über die weiche Haut an Kirjanas Hals.

Vielleicht spürte sie nichts, doch Sunyu konnte die Flammen sehen, die in sie eindrangen und Angst in ihr verbreiteten. Das Blut hätte auf der Stelle gefrieren, zu einem bläulich roten Strang erstarren müssen. Dennoch atmete sie weiter, wenn auch erstickt. Das Feuer wütete in ihr, Angst troff aus ihren Augen, wie der Saft eines reifen Apfels, wenn man hineinbeisst.

Vilgrims Flammen schlugen aus, um Kirjanas Fesseln zu verbrennen. Sie schluckte, tat aber, wie ihr Herrscher es ihr befahl. Offensichtlich ging ihm das zu langsam. Unter seinem Willen fingen ihre Kleider eiskaltes Feuer, flackerten kurz und lösten sich auf, als wären sie nie da gewesen. Eiskristalle überzogen die rosige Haut, wanderten mit rasender Geschwindigkeit auf Bauch und Oberschenkel zu.

Sunyu wehrte sich gegen die Starre, doch die Magie des Fürsten hielt ihn zurück. Er war gezwungen, zu beobachten, was Vilgrim mit Kirjana anstellte. »Vilgrim, hör auf!«

Der Fürst lachte. Seine kalten Finger wanderten weiter über den Körper der gefallenen Fürstentochter, bis er bei ihrem Busen ankam. Die Brustwarzen ragten keck nach vorn. Feuer züngelte an ihnen, konzentrierte sich auf dem dunklen Rund. Kirjana keuchte auf, vielleicht vor Schmerz, vielleicht auch vor Lust.

»Hast du sie auch so geneckt?«, fragte Vilgrim, ohne Sunyu anzusehen. Dennoch war klar, mit wem er sprach. »Sie mag es, gefoltert zu werden. Davon kann sie nicht genug bekommen.« Um seine Worte zu unterstreichen, liess er die Flammen über den kräftigen Körper flackern, der unter den Berührungen erzitterte.

Wieder keuchte Kirjana. Sunyus Blut wallte auf, Verlangen schäumte durch seine Adern. Er wollte sie – er wollte ihr diese Töne entlocken, er wollte das Stöhnen hören.

Schlagartig wurde ihm bewusst, was Vilgrim mit ihr anstellen würde. Er kannte Kirjanas Schicksal. Er musste sie retten! »Tu es nicht!« Er hörte sich nicht mehr halb so sicher an wie zuvor.

Vilgrim schenkte ihm einen flüchtigen, aber äusserst zufriedenen Blick, bevor seine Aufmerksamkeit wieder der Fürstentochter galt. Er bückte sich, um den Dolch vom Boden aufzuheben, drehte ihn hin und her. Einmal blitzte das Metall im Licht der Flammen auf. »Vergiftet?«, richtete er sich mit unbewegter Stimme an seine Gespielin, die sich einem anderen Mann hingegeben hatte.

»Tu es nicht, Vilgrim«, bettelte Sunyu. Nach Tindra auch noch Kirjana zu verlieren war etwas, was er nicht ertragen würde.

Kirjanas Widerstand fiel zusammen, ihr Körper erschlaffte, der Kopf sank nach vorn auf ihre Brust. Deutlicher hätte ihre Antwort nicht ausfallen können.

Verächtlich warf Vilgrim die Waffe zur Seite und fixierte die Frau, die aus ihm einen Mörder gemacht hatte. Sunyu kannte die Geschichte. Er hatte alles aufgegeben, um sie in seiner Nähe zu wissen. Dafür hatte er ihre Mutter umgebracht, Kirjana zu einer Handlung gezwungen, die einer geachteten Frau den Funken der beiden Göttinnen entzogen hatte, und sich selbst zum Fürsten ernannt. Es war alles ein abgekartetes Spiel gewesen.

Die Flamme an ihrem Oberarm konzentrierte sich auf eine Stelle. Die Farbe vertiefte sich. Neue Eiskristalle entstanden, wuchsen zu einem undurchdringlichen Geflecht und färbten die Haut blau. Spröde sprang sie auf und brachte das pulsierende Blut zum Vorschein, das augenblicklich gerann. Dass Kirjana bei diesen Temperaturen überhaupt noch lebte, grenzte an ein Wunder, doch das war vermutlich Vilgrims Flamme geschuldet.

Der Fürst hob die andere Hand, führte sie an Kirjanas Schulter. Wieder beobachtete er die Kälte, wie sie Haut zum Aufreissen und Blut zum Gefrieren brachte. Eine Wunde an der ansonsten makellosen Wange der Offizierin.

»Du Schwein!«

»Na, na«, meinte Vilgrim beschwichtigend. »Nur nicht so vulgär. Immerhin hast du sie vor meiner Nase gevögelt.« Sanft wie der Flügelschlag eines Vogels riss Vilgrims Flamme eine weitere Wunde am Innenschenkel auf. Ein Tropfen Blut schaffte es auf den Boden, gefror dort zu einem dunkelroten Fleck. Riss für Riss malte Vilgrim auf Kirjanas Haut.

Sie keuchte auf, biss sich auf die Unterlippe und versuchte, den Schmerz zu unterdrücken. Immer wieder schloss sie die Augen, um die Schwäche nicht zu zeigen. Ihr Körper, über und über mit eiskalten Wunden übersät, sackte in sich zusammen, wurde jedoch von der Magie aufrecht gehalten. Sie zitterte. Die Kraft, die Pein zu unterdrücken, ging ihr aus. Kirjanas Aufschrei entliess all das Leid in ihr, es hallte zwischen den steinernen Wänden wider und setzte sich ganz tief in Sunyus Brust fest.

Er grollte. Sein Inneres bebte. Das Feuer begehrte auf, die unsichtbaren Ketten erzitterten.

Vilgrim sah ihn abschätzig an. »Du hast keine Chance gegen mich, Bastard.« Sein Blick fiel auf das Schwert, das am Boden lag, dann grinste er. »Wie war das? Du erhältst Kraft von jenen, die deinem Schwert zum Opfer fallen?«

Sunyu wollte ihn daran hindern, wollte Vilgrim von seinem Plan abbringen, doch die Stimme verwehrte ihm den Dienst. Er fühlte sich kraftlos, konnte sich nicht bewegen. Mit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie sich Vilgrim bückte und das Schwert aufhob. Sofort gierte es nach den hellblauen Flammen, doch der Fürst verwehrte ihm den Zugriff, so gut er konnte. Es gelang ihm nicht gänzlich. Er presste die Lippen zusammen, um das Keuchen zu unterdrücken, das seine Schmerzen offenbarte.

Als die Klinge Kirjanas Hals berührte, konnte Sunyu die Vorfreude auf die Lebenskraft der jungen Frau spüren. Es machte keinen Unterschied, ob Kirjana Freiwild war. Sie lebte, allein das zählte. Sie trug die gleiche Kraft in sich wie die junge Larhun in Djord oder jeder Kvor, den er in den Reichen des Nebels umgebracht hatte.

Langsam drückte Vilgrim zu, ein Stöhnen kam über seine Lippen. Erst dehnte sich die Haut, bis sie unter dem Druck der scharfen Schneide nachgab. Kirjana riss Mund und Augen auf, doch kein Ton kam über ihre blauen Lippen. Dickere Eiskristalle eroberten ihren Körper, zeichneten magische Muster auf ihre Haut.

Die Klinge schnitt weiter durch das Fleisch, sog freudig alles auf, was die Offizierin zu bieten hatte: ihr Lachen, das Verlangen, den Willen. Und ihre Liebe zu Vilgrim, dem Fürsten, der ihr alles genommen und nur wenig gegeben hatte.

Noch atmete sie, doch ihr Blick wurde leer und stumpf. Vilgrims Magie hielt sie länger im Diesseits, als Seylani und Doana es erlaubten.

Mit unerwarteter Entschlossenheit packte der Fürst sie an den Haaren und hob ihren Kopf an, bis sie ihm in die Augen sah. »Hättest du dich nicht einem anderen hingegeben, wärst du jetzt meine Fürstin«, zischte er. Ruckartig beugte er sich zu ihr hinunter und verschloss ihre Lippen mit seinen. Die Schreie erstarben unter dem harten Kuss. Mit einem schnellen Schnitt trennte er den Hals vollständig durch. Der kopflose Körper fiel mit einem dumpfen Poltern auf den Boden, während ihre schreckgeweiteten Augen in den Raum starrten, als würde sie noch leben.

Eine Welle der Wut schwappte über Sunyu hinweg, raubte ihm jeglichen Verstand. Seine Flammen begehrten gegen die des Fürsten auf, loderten heller, höher. Einem Befreiungsschlag gleich zerrissen sie die magischen Fesseln. Sunyu streckte die Hand nach Weltenspalter aus, der aus dem Griff des Fürsten sprang und von blutroten, zornigen Flammen zum Schmied getragen wurde.

Erschrocken wandte sich Vilgrim zu Sunyu um. Seine Augen weiteten sich, als er das unheilvolle Lodern erblickte. Er rief sein eigenes Feuer. Kälte kämpfte gegen Hitze, versuchte mit aller Macht, sie zu durchdringen, scheiterte jedoch kläglich.

Das hellblaue Feuer war so erbärmlich. So winzig.

Sunyu triumphierte, seine Flammen frohlockten. Weltenspalter sang das Lied des Sieges, als er die Luft zum Vibrieren brachte. Mit jedem Schritt, den sich der Schmied dem Fürsten näherte, sank dieser mehr in sich zusammen, bis er als kleines Häufchen Elend vor ihm kniete.

»Steh auf.« Wie hatte Sunyu nur jemals glauben können, dass seine Flammen so viel kleiner waren als die des Fürsten?

Vilgrim erhob sich folgsam. Trotz der Angst forderte er den Schmied mit einem trotzigen Blick heraus. »Ohne mich bist du nichts!«, schrie er verzweifelt, ängstlich. »Ich bin ihr Fürst, mir werden sie in die Schlacht folgen.«

Sunyus Augen wurden schmal. Er legte den Kopf leicht schief und betrachtete den Fürsten, der zitternd vor ihm stand. Jeglichen Bezug zur Gegenwart hatte der kleine Larhun verloren, die Gier schwang in seinen Zügen mit. Er erwartete tatsächlich, dass die Fürstinnen ihm folgen würden. Dieser Wurm glaubte, dass er, Sunyu, von ihm abhängig war.

Seine Hand schnellte nach vorn und umschlang den dünnen Hals des Fürsten. Mühelos hob er den kleinen Mann mit den schwarzen Locken in die Luft. Die Magie in ihm tobte, wurde wilder, lauter. Niemand war in der Lage, ihn jetzt noch aufzuhalten.

»Falsch.« Sunyu verengte den Griff gerade so weit, dass Vilgrim zu viel Luft bekam, um zu sterben, aber zu wenig, um zu leben. »Eskild schaffte es beinahe, die Reiche zu einen. Ich bin sein Sohn. Wenn sich die Larhun unter einem Banner vereinen, dann unter meinem. Wenn sie unter einem Befehl marschieren, dann unter meinem. Und wenn sie jemanden bejubeln, einen Fürsten erwürgt zu haben, der nicht würdig war, auf dem verfluchten Thron zu sitzen, dann mich.«

»Du bist ein Bastard!«

»Ich bin Eskilds Sohn.« Sunyus Finger schlossen sich, Vilgrim röchelte. Seine Beine zappelten, doch für den kräftigen Schmied stellte das keine Herausforderung dar. Macht durchströmte Sunyu. Er gebot über Leben und Tod, hier und jetzt. Wäre er gnädig, könnte er dem kleinen Fürsten ein Leben im Exil gewähren, doch er wollte sehen, wie diese unwürdige Kreatur ihren letzten Atemzug tat. Wie er mit den Blicken bettelte wie ein Hund.

Vilgrims Augen rollten, das eisblaue Feuer flackerte ein letztes Mal auf, bevor es dunkel und schwach wurde. Blutrote Flammen erstickten es im Keim. Sunyu bemerkte nicht einmal, dass es seine Haut berührte, so wild loderte sein eigenes Ov’Enn’Tre.

Irgendwann baumelte der Fürst regungslos an seiner Hand. Jegliche Anspannung war aus dem gedrungenen Körper gewichen. Mit einem verächtlichen Grunzen warf Sunyu ihn in eine Ecke und verliess den Ratssaal.

Vilgrim war tot.

Sunyu war frei – und mit ihm auch Tindra.

Durch das Fenster entdeckte er Schneeflocken, die vom Himmel fielen und die Landschaft rund um die verfluchte Stadt der Larhun mit einer weichen Decke überzogen.