Die Braut des Feenprinzen (Leseprobe)

Dampf unterm Hintern

 

Mit dem typischen Rattern kam der Motor zur Ruhe, als Joana ihren roten Käfer abstellte. Sie liess sich einen Moment Zeit, betrachtete sich im Rückspiegel und zog mit geübten Fingern den Lippenstift nach. Die Farbe Koralle brachte das kupferfarbene Leuchten ihrer Haare noch etwas mehr zur Geltung.

Doch eigentlich machte das keinen Unterschied. Ein düsterer Nebel hing über dem Ort und drückte auf die Stimmung. Es war egal, wie gut ihre Lippen oder ihre Haare betont waren, niemand würde es sehen. Also konnte sie genauso gut auf die Wimperntusche verzichten.

Sie griff nach der Handtasche auf dem Beifahrersitz, drückte die Autotür gegen die ausgefräste Schneewand – parken hätte sie niemals in die Rubrik Das kann ich besonders gut ins Freundschaftsbuch geschrieben – und kämpfte sich aus ihrem kleinen Liebling. Das Haus ihrer Grosstante Josephine lag am Hang ausserhalb des Dorfkerns, wobei Dorfkern doch übertrieben war. Dreissig Häuser als Dorf zu bezeichnen … Trotzdem, Winterhort hatte ein eigenes Ortsschild, eine 50er-Zone und ganz viel Charme. Das behaupteten jedenfalls die Einheimischen.

Mit einem leichten Lächeln schüttelte Joana den Kopf, zog die Jacke enger und stapfte zum Haus. Den Koffer würde sie später aus dem Wagen holen.

Ihre Füsse stiessen gegen den Messingkessel, der mit einer kläglichen Füllung Schnee seiner Bestimmung harrte. Erst suchte sie nach der Klingel, bevor sie sich erinnerte, dass das Haus ihrer Grosstante erst vor zwei Jahrzehnten an das Stromnetz angeschlossen worden war und noch immer keine Klingel besass. Der Wind heulte ihr frischfröhlich um die Ohren, sodass sie eiligst anklopfte. Lange wollte sie nicht in dieser Kälte stehen bleiben.

Eine Weile geschah nichts, dann endlich öffnete sich die Tür. Vor ihr stand Grosstante Josephine, gebückt und grau und liebenswert wie eh und je. Sie trug ein geblümtes, selbst genähtes Kleid mit einer marinefarbenen Strickjacke, an der ein dunkelbrauner Knopf durch einen hellbraunen ersetzt war.

Joana spürte, wie sich ein Lächeln in ihr Gesicht zauberte, als sie den ordentlichen Dutt betrachtete, aus dem noch kein einziges Haar geflohen war, und die wachen, grauen Augen. Schon als sie selbst noch als kleines Mädchen über die abschüssige Wiese getollt war, hatte Grosstante Josephine genau so ausgesehen.

»Wieso kommst du nicht einfach rein? Die Tür ist offen.«

Die Frage der alten Frau brachte Joana für einen Augenblick aus dem Konzept, bevor sie erleichtert auflachte. Sie folgte ihrer Grosstante in den schmalen Gang, zog die Schuhe aus und ging weiter bis zur engen, aber gemütlichen Küche.

Grosstante Josephine kam leicht humpelnd nach. Das erinnerte Joana wieder einmal daran, dass die rüstige Frau nicht jünger wurde. Hatten ihre Eltern nicht vor einiger Zeit einmal über Sinn und Unsinn einer Hüftoperation bei älteren Menschen gesprochen? Hatten sie Josephine damit gemeint?

Ohne auf ihre Grosstante zu warten, setzte Joana Wasser auf. Die Platte des Holzherdes strahlte trockene Hitze aus, als hätten den ganzen Tag Flammen darin gewütet. Vermutlich hatten sie das auch.

Mit einem Haarband band Joana ihre Mähne zusammen und bediente sich am Teeschrank, den sie als Kind schon geliebt hatte. Immer war ihre Grosstante für eine Überraschung gut gewesen. In den Erinnerungen sah sie sich selbst, wie sie sich über den Erdbeer-Himbeer-Tee gefreut hatte, der ihr ganz allein gehörte.

Jetzt entschied sie sich für einen klassischen Pfefferminztee, der die lange Reise aus ihrem Mund spülen würde. Auf die Frische freute sie sich – und erst recht aufs Zähneputzen. Aber nachdem sie sich die Lippen gerade erst neu geschminkt hatte, verzichtete sie vorerst darauf.

»Hagebutte, richtig?«, fragte Joana, als sie das Glas mit Schraubverschluss entdeckte, in dem ihre Grosstante die vielen Rosenfrüchte aufbewahrte, die sie im Herbst jeweils sammelte.

Joana konnte sich gut an die Nachmittage im Garten erinnern, an denen sie und ihr Sandkastenfreund sich zwischen den Ranken der wilden Rosen hindurchgeschlängelt hatten, um diese eine fette Beere noch vom Busch zu klauben. Noch besser erinnerte sie sich an die Kratzer, die sie davongetragen hatten.

Josephine setzte sich auf die Holzbank. »Gerne, Liebes.«

Ohne sich zu verirren, fanden Joanas Hände Tassen und ein Stück Zucker für ihre Grosstante, dann war das Wasser auch schon bereit. Sie spürte die nachdenklichen Blicke der alten Frau auf sich ruhen, reagierte aber nicht darauf. Dass sie nicht begeistert gewesen war, als ihr Berggeisslein die heile Welt in den Alpen verlassen hatte, um in der grossen Stadt zu studieren, wusste Joana. Bestimmt dachte sie jetzt daran, wie es hätte sein können, wenn die junge Frau noch immer in den Bergen lebte. Doch ein Leben als Bäuerin, den ganzen Tag um die Kinder herum – nein danke. Das war nichts für Joana.

Entgegen Joanas Vermutung lächelte Josephine sie herzlich an, als sie sich umdrehte, um die dampfenden Tassen auf den Tisch zu stellen. »Dass du als erfolgreiche Frau mich noch besuchst …« Die Grosstante schüttelte leicht den Kopf, um ihren Unglauben zu unterstreichen.

Joana legte ihre Finger um die warme Tasse und betrachtete sie über den dampfenden Rand hinweg. »Vielleicht bin ich gar nicht so erfolgreich.« Sie zwinkerte ihr zu.

Josephine lächelte. »Wer zufrieden ist im Leben, ist schon sehr erfolgreich.« Sie nickte in Richtung Fenster, vor dem immer dickere Flocken durch die Dunkelheit schwebten. »So wie Petrus musst du es machen. Allen ans Schienbein kicken, ohne dass dir jemand was anhaben kann. Genau.« Sie nickte mit einem ernsten Gesichtsausdruck, doch die Augen funkelten amüsiert.

Joana grinste breit. Als Teamleiterin einer kleinen Marketingabteilung für Geschäftskunden konnte sie sich tatsächlich einiges erlauben, aber ob das als richtiger Erfolg gezählt werden konnte, wusste sie noch nicht. Ausserdem vermutete sie, dass sie die Stelle nach einem Kick gegen das Schienbein ihres selbstgefälligen Vorgesetzten verlieren würde.

Josephine sah wieder zum Fenster. »Petrus kickt wohl noch bis morgen weiter. Hol doch schon mal deine Tasche, dann werden wir uns was Leckeres kochen und über gute alte Zeiten sprechen.« Voller Vorfreude fuhr sie sich mit der Zunge über die Oberlippe, sodass Joana erheitert auflachte.

 

Joana schüttelte den Kopf, als sie vollgefressen zum Fenster hinausblickte. Noch immer schneite es in rauen Mengen. Jetzt war sie froh, hatte sie ihre Sachen vor dem Abendessen aus dem Wagen geholt. Das Wetter lockte sie nicht nach draussen.

Die Achsen ihres Käfer bogen sich sicher schon unter der Last. Sie konnte keinen einzigen Sprenkel Rot erkennen, so viel Schnee lag auf dem kleinen Wagen.

»Komm, trink noch einen Tee, Kind«, meinte Josephine mit einem milden Lächeln. »Du kennst doch das Sprichwort: ›Abwarten und Tee trinken‹.«

Geistesabwesend nickte Joana. Natürlich kannte sie es. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass ihre Blase bei der nächsten Tasse platzen würde, auch wenn es der leckere Erdbeer-Himbeer-Tee war, den ihre Grosstante aus einem versteckten Winkel gezaubert hatte.

Joana verdächtigte sie, dass sie ihn nur für sie gekauft hatte, damit die Grossnichte vielleicht eine Stunde länger blieb. »Ich wollte doch noch zu meinen Eltern«, meinte sie mit einem Seufzen und drehte sich entschlossen zum Tisch um. »Aber morgen sieht es vielleicht schon wieder ganz anders aus.« Sie lächelte, obwohl sie selbst an ihrer Aussage zweifelte, hatte der Wetterbericht doch kalte Wintertage vorhergesagt. So schnell würden die Schneemassen nicht verschwinden. Und ihr Käfer war mässig schneetauglich, um es mit sanften Worten auszudrücken.

Josephine zwinkerte ihr zu und nippte seelenruhig an ihrem selbst gesammelten Hagebuttentee. »Wie du auch immer so gestresst sein kannst.« Das »Tststs«, das nun folgte, kannte Joana schon von Kindesbeinen an, sodass sie es aus Gewohnheit überhörte.

Joana holte sich doch noch einen Teebeutel und goss heisses Wasser nach. Die Platte des Holzherdes war nicht mehr so warm, um das Wasser zum Sieden zu bringen, aber heiss genug, um sich die Zunge am Tee zu verbrennen, war sie allemal.

Josephine seufzte. »Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass die Wasserleitung noch immer nicht repariert wurde?«

Joana hielt in ihrer Bewegung inne, die Gedanken rasten. Sie war vor zwei Monaten zum letzten Mal hier gewesen. Damals schon hatte ihre Grosstante sie immer wieder zur Quelle hinter dem Haus geschickt. »Ach Tantchen«, jammerte sie und verzog das Gesicht. »Wieso hast du die nicht angerufen und denen ein wenig Dampf unterm Hintern gemacht?«

Hatte sie eben Dampf unterm Hintern zu Josephine gesagt? Zu ihrer Grosstante, die das Wort Hintern vermutlich noch nie auch nur gedacht hatte?

Josephine schnalzte mit der Zunge. »Wie denn, so ohne Telefon? Ich kann meine Anliegen nur melden, wenn ich mal ins Dorf runterkomme.«

»Da kannst du ja auch nur Bescheid geben.« Joana seufzte, legte die Lippen an die Tasse, um einen kleinen Schluck zu trinken, doch die Hitze hielt sie davon ab.

»Die gute Susi vom Ochsen hat es sicher weitergeleitet«, meinte Josephine mit einem Zwinkern. »Und bis dahin …« Sie trank einen weiteren Schluck.

Abwarten und Tee trinken. Ergeben stellte Joana ihre Tasse auf die Anrichte, schlüpfte in Schuhe und Jacke, um im nächsten Augenblick den Kessel vor der Eingangstür mitzunehmen. Der Winter hatte den Griff kalt werden lassen, und schon bevor sie um das Haus herumgestapft war, spürte sie ihre Hand nicht mehr.

Hinter einer Felswand versteckt, nicht weit vom Haus entfernt, gluckerte eine Quelle vor sich hin. Das Wasser floss direkt aus dem Berg in einen kleinen Teich, um dann seinen Weg um Steine herum ins Tal zu finden. Früher hatten sie und ihr Sandkastenfreund oft hier gespielt, als ihre Eltern noch im Dorf gewohnt und viel gearbeitet hatten. Nach dem Umzug hatte sie ihre Grosstante viel zu selten besucht, obwohl sie nur ein Tal weiter gezogen waren. Für Kinderfüsse war der Weg trotzdem zu weit gewesen.

Ein wenig bewunderte Joana ihre Grosstante schon, als sie durch den knietiefen Schnee watete und dabei den Kessel in die Höhe hob. Obwohl die Hüfte Josephine Probleme bereitete, machte sie sich seit Wochen jeden Tag auf den Weg, frisches Wasser zu holen.

Durch den vielen Schnee zog sich der Weg in die Länge, aber irgendwann entdeckte Joana den Felsvorsprung, der den Eingang zu ihrem geschützten Paradies aus Kindheitstagen markierte. Der kleine Absatz am Rand des Durchgangs zwischen Felsvorsprung und Bergwand wirkte noch etwas schmaler, doch mit zwei grossen Schritten brachte sie den Abschnitt hinter sich und atmete erleichtert auf.

Überrascht hielt sie inne. Dass der Wind hier nicht wehte, erstaunte sie wenig, dass es aber lecker nach Frühling duftete, obwohl die Temperaturen nicht daran erinnerten, schon eher. Sie sog die Luft tief ein; ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Die glucksenden Wellen malten tanzende Lichtreflexe an die Steinwand.

Joana runzelte die Stirn. Lichtreflexe in der absoluten Dunkelheit, in der sie den Weg nur gefunden hatte, weil sie den Schatten der krüppeligen Tanne erahnen konnte? Den Zweifeln zum Trotz wogten die sanften Linien weiter über den Granit.

Als Joana näher zum Teich trat, knirschte es unter ihrem Fuss. Sie verdrehte die Augen. Wie kamen Jugendliche darauf, sich hier oben ihren Rausch anzutrinken, noch dazu bei dieser Kälte? Doch anstelle von Bierflaschenscherben entdeckte sie winzige Blumen aus Eis – Schmuckkörbchen, Ringelblumen und Mohn, allesamt gletscherblau gefärbt und durchscheinend –, die in winzige Stücke zersprungen waren.

Unmöglich! Sie kniete sich hin, legte die Hand auf einen Blütenrest, der im nächsten Augenblick unter der Wärme wegschmolz.

Sie zuckte zurück. Das hier war unheimlich. Joanas Blick huschte zum Durchgang zwischen Felsvorsprung und Bach. Es war dunkel, der Wind heulte durch das Tal. Niemand würde sie hören, wenn jetzt jemand mit einem Messer auftauchte und sie …

Entschlossen schüttelte sie den Kopf, tauchte den Kessel ins Wasser und machte sich auf den Weg zurück zu Grosstante Josephines Haus.

 

Sei nicht so hart

 

»Rechne noch ein paar Influencer mit ein. Wenn der schillernde Lippenstift nicht angepriesen wird, kauft ihn niemand.« Joana verdrehte die Augen beim Gedanken an die Idee eines noch unbekannten Labels, das einen Lippenstift auf den Markt brachte, der in zwei verschiedenen Farben glitzerte. Die Aufgabe war es, dass Tempting Lips bald in aller Munde – oder eher auf aller Lippen – war, auch wenn sie selbst den Markt für die ausgefallenen Produkte als eher bescheiden betrachtete.

Bei solchen Herausforderungen hatte sie gute Erfahrungen damit gemacht, mit jungen Frauen zusammenzuarbeiten, die in den sozialen Medien bekannt waren. Sie posteten Beiträge, wie sie sich schminkten, in welchem angesagten Bistro sie gerade ihr ultragesundes Müsli mit Açaíbeeren genossen oder welchen schillernden Lippenstift sie trugen. Wie gut dieser aussah, wie sehr er die Aufmerksamkeit auf ihre wundervollen Lippen zog.

Alinas Stift kritzelte am anderen Ende über das Papier, ehe sie sich verabschiedete. Noch heute musste das Angebot an die Firma, wenn sie den Auftrag erhalten wollten. Dabei sorgte Joana dafür, dass der Auftrag an sie persönlich gehen würde – der erste Grossauftrag für ihre eigene kleine Marketingfirma, die sie aufbauen wollte.

Auch wenn Marketing teuer war, lohnte es sich meistens. Jedenfalls hatte sie ihren Lieblingsfotografen Alex schon von der Idee begeistern können, schillernde Lippen abzulichten. Jetzt brauchte sie nur noch die Zusage des Labels, und wenn Alina, ihre rechte Hand in der Firma, die Influencer und Merchandise-Artikel zum Angebot von Joanas Arbeitgeber rechnete, würde sie mit ihrem eigenen Angebot deutlich unter dem ihres Arbeitgebers liegen.

Mit ein paar kurzen Anweisungen lenkte sie die treue Alina zu den richtigen Influencern und beendete das Gespräch.

Grosstante Josephine grunzte, was Joana ein erheitertes Lachen entlockte. »Ich dachte, du hast Urlaub?«

Joana trat zum Eimer, wrang den Lappen aus, stellte sich auf die Zehenspitzen und putzte den Küchenschrank weiter. Immer wieder erstaunte es sie, wie viele Krümel sich innerhalb eines Jahres in einem Kasten mit eigentlich sauberem Geschirr ansammeln konnten. »Will man erfolgreich sein, hat man keinen Urlaub.« Aber dass sie das Notebook mitgebracht hatte, um bei ihren Eltern zu Hause über die Weihnachtsfeiertage ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, verschwieg sie.

Josephines »Pah« schallte durch die Küche und Joana hörte, wie sie aufstand, als plötzlich ein Knacken die Luft zum Vibrieren brachte. Im nächsten Augenblick rumpelte es, ein Donner rollte über sie hinweg. Der Boden bebte. Joana ging in die Knie und krallte sich an der Anrichte fest. Bei einem Blick zu ihrer Grosstante zurück erkannte sie, wie blass auch sie um die Nase herum geworden war.

Irgendwann verstummte das Gepolter, die Erde kam zur Ruhe. Noch immer angespannt, liess Joana die Luft aus ihrer Lunge entweichen. Vorsichtig trat sie ans Fenster und hob den Vorhang etwas an, um besser sehen zu können. »Beim Teutates!«, rutschte der Fluch aus ihr heraus.

»Joana!«, tadelte Grosstante Josephine.

Aber sie sah nicht, was Joana sah. Es wirkte, als hätte sich der Berg wie ein nasser Hund geschüttelt und die gesamte Schneelast abgeworfen, die sich seit gestern Abend dort angesammelt hatte. Schneebrocken, mit Schutt aus dem Berghang vermischt, bedeckten einen Teil ihrer Spuren von gestern Abend. Nur ein paar Meter näher und man müsste Grosstante Josephine und sie im Frühling auftauen.

»Wir müssen hier weg.« Joana wirbelte herum und hastete in den oberen Stock, um ihre Sachen zu holen.

Josephine brach in erheitertes Lachen aus, was Joana mit einem Blick aus leicht verengten Augen quittierte. »Weisst du eigentlich, wie lange unser Haus schon steht?«

»Jaja«, winkte Joana unbeeindruckt ab. »Aber irgendwann ist immer das erste Mal. Irgendwann werden die Schneemassen über dieses Haus hereinbrechen und alle, die sich darin befinden, unter sich begraben. Ich habe nicht vor, ein Teil davon zu sein.«

Wieder lachte Grosstante Josephine, doch dieses Mal war es etwas leiser. Für einen Augenblick hatte Joana das Gefühl, dass ihre Augen tiefblau aufblitzten, doch es verschwand so schnell wieder, dass sie es als Einbildung oder als Spielerei des Lichts abstempelte.

»Ich glaube an Magie, Joana. Dieses Haus wird durch Magie geschützt. Niemals in all den Jahren, in denen ich hier wohne, ist etwas passiert. Nie.«

»Ausser einer kaputten Wasserleitung?«, fragte Joana mit hochgezogener Augenbraue, doch das bemerkte ihre Grosstante nicht einmal. Diese schien so in ihre eigenen Gedanken versunken zu sein, dass die Marketingexpertin erwartete, bald in eine andere Zeit gezogen zu werden.

Mit einem Seufzen fand Josephine langsam in die Gegenwart zurück. »Ausserdem ist es jetzt sowieso zu gefährlich. Solange der Berg nicht ruht, gehen wir nirgendwo hin.«

Das war das einzige Argument, das Joana von ihrem Plan abhielt, so schnell wie möglich zu verschwinden.

 

Als Joanas Handy gleich nach dem Auflegen wieder klingelte, warf sie nicht einmal einen Kontrollblick auf den Bildschirm. Wenn sie den Deal mit Tempting Lips an Land zog, dann hielt sie das Ticket in die Freiheit in den Händen. Dann würde es endlich reichen, um ihr eigenes Marketingbüro zu eröffnen. Folgeaufträge würden hereinflattern, sie wäre ihr eigener Chef. Und dann wäre sie erfolgreich.

»Kramers. Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie freundlich. Dabei lächelte sie. Je freundlicher sie am Telefon sass, desto überzeugender wirkte auch ihre Stimme.

Am anderen Ende lachte ein Mann. »Echt, Jo? Kramers?«

Joana zog die Augenbrauen zusammen, doch das Lächeln blieb, während sich in ihren finstersten Erinnerungen Bilder regten und an die Oberfläche drängten. Doch noch wollten sie sich nicht gänzlich zeigen.

»Hast du mich wirklich vergessen?« Der Mann gab ihr einen Augenblick Zeit, bevor er sorglos weitersprach. »Es tut gut, deine Stimme zu hören – auch wenn du gerade sehr schweigsam bist.«

Endlich machte es Klick. Joanas Gesicht erstarrte zu einer steinernen Maske, während ihr Herz stolperte, um dann doppelt so schnell weiterzugaloppieren. Bilder von wuscheligen, kastanienbraunen Haaren, die im Gegenlicht wie ein Kranz strahlten, lange Finger, wie sie durch die nicht zu bändigende, ewig wirre Mähne fuhren und dazu diese herrlich warmen, braunen Augen.

Obwohl sich Joana wehrte, konnte sie das überraschend deutliche Bild nicht verdrängen. »Gion.« Mit einem Seufzen lehnte sie sich betont ungerührt zurück. »Was willst du?« Ihre Stimme klang kalt, obwohl seine Stimme allein sie aufwühlte.

»Ha, du erkennst mich also doch!« Im Hintergrund rief eine Frauenstimme seinen Namen, er wimmelte kurz angebunden ab und widmete sich wieder seiner Gesprächspartnerin. »Warum bist du so schlecht gelaunt? Freust du dich denn nicht, endlich wieder etwas von mir zu hören?«

Joana massierte sich die Stirn mit Daumen und Mittelfinger. Viel lieber hätte sie ihm Letzteren aber gezeigt. »Ich habe zu tun.« Einen Versuch war es wert. »Ausserdem hätte ich dich angerufen, wenn ich mit dir sprechen wollte.«

Gions Lachen wurde noch eine Spur lauter und fröhlicher als vorher. »Dann hast du wenigstes meine Nummer nicht gelöscht.«

Aber alles andere. Selbst die Erinnerungen an ihn hatte Joana aus ihrem Leben verdrängt und sie unter vielen neuen Erfahrungen begraben. Trotzdem nervte seine Fähigkeit, in allem Negativen etwas Positives zu sehen, gerade gewaltig. Dennoch konnte sie ein Zucken ihrer Mundwinkel nicht verhindern.

»Nein, jetzt im Ernst«, lenkte er ein, doch es schwang noch immer ein amüsierter Unterton in seiner Stimme mit. »Braucht ihr etwas? Was soll ich mitbringen?«

O bitte, lass ihn nicht hierherkommen. »Wir sind eingeschneit«, entgegnete sie, darauf hoffend, er würde sich dadurch von seinem Plan abhalten lassen.

»Ich weiss.«

Ein wenig überraschte es Joana, dass er von der Wetterlage hier wusste.

»Ich habe die Lawine gesehen, als sie ins Tal donnerte.« Er machte eine kurze Pause. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Wir alle«, fügte er rasch hinzu.

Hiess das, dass er noch immer in Winterhort lebte? Gion war bei seinem Grossvater auf der anderen Seite des Tals aufgewachsen. Auch wenn die Ebene sie beide getrennt hatte, hatten sie doch stundenlang zusammen Hagebutten aus den dornigen Büschen geklaubt. Manchmal hatten sie sich sogar mit Taschenlampen Gute Nacht gemorst.

Gion räusperte sich. »Mein Grossvater sagte immer, dass Lawinen aus der Wut der Berggeister entstehen.«

Joana liess sich den Satz nochmals durch den Kopf gehen. »Sagte?«, hakte sie nach, doch auch ohne auf Gions Antwort zu warten, wusste sie, was geschehen war. »Das tut mir leid.« Sein Grossvater war seine einzige Familie gewesen. Gions Mutter hatte den Namen seines Vaters vor ihrem Ableben nicht genannt, Tanten und Onkel gab es keine.

Der Tod musste ihm den Boden unter den Füssen weggerissen haben. Einen unendlichen Augenblick lang herrschte betretenes Schweigen.

»Danke. Also, braucht ihr etwas?«

»Ein langes Messer.« Joana warf ihrer Grosstante einen flüchtigen Blick zu. Diese schien ganz in ihre Strickarbeiten vertieft, doch sie wusste, dass die Neugier der alten Frau keine Grenzen kannte. Noch immer zeigte sie keine Regung. Grosstante Josephine war gut.

Gions überraschte Stimme riss Joana aus ihren Gedanken. »Ein Messer? Wofür?«

Wenigstens einmal war es ihr gelungen, seine Selbstsicherheit zu vertreiben. Beinahe hätte sie triumphierend aufgelacht, doch die Genugtuung, sie zum Lachen gebracht zu haben, wollte sie ihrem Sandkastenfreund nicht gönnen.

»Damit ich unsere nicht schmutzig machen muss, wenn ich dich ersteche«, antwortete sie möglichst unfreundlich, lächelte aber dabei.

Er sollte nur nicht denken, dass sie sich auf ihn freute, auch wenn es so war.

Einen Augenblick herrschte Stille in der Leitung, dann lachte er wieder. Sie konnte ihn vor sich sehen, wie er sich mit dem Handy am Ohr an der Wand abstützte und sein ganzer Körper unter dem Anfall erbebte. Ja, sie hatte sein Lachen geliebt.

Hatte.

»Einen Mord solltest du nicht ankündigen, Jo, sonst erwischen sie dich noch.«

»Ich werde die Leiche deinen komischen Geistern vorsetzen, die werden sich an deinem Fleisch laben und niemand wird dich finden. Oder vermissen.« Das feine Grinsen verbreiterte sich, sie konnte es nicht verhindern. Aber Gion sah sie ja nicht, also war das auch nicht so schlimm.

»Oh, wenn du nur wüsstest!« Schon wieder dieses verdammt herrliche Lachen. »Dann also bis später.« Einen Augenblick hielt er inne, dann seufzte er und legte auf.

Als wäre die Zeit stehen geblieben, starrte Joana auf ihr Handy. Sie wusste nicht, was sie von dem Gespräch eben halten sollte. Die Mundwinkel zogen leicht nach oben, doch sie wollte es nicht zulassen, dass er sie noch einmal zum Schmunzeln brachte. Sie hatte sich geschworen, dass sie nie wieder ein Mann zum Lachen bringen würde, dass niemand sie jemals wieder so verletzten konnte.

Und vor allem nicht er.

»Gion ist ein guter Junge«, warf Grosstante Josephine ein, ohne das monotone Klappern ihrer Stricknadeln auch nur um einen Hauch zu verlangsamen.

Joana rollte mit den Augen und hoffte, dass Josephine in diesem Moment auf ihre halbfertige Strickjacke blickte. »Natürlich, das war er früher schon«, erwiderte sie etwas genervt und warf einen bösen Blick auf ihr Smartphone, das unschuldig mit schwarzem Bildschirm auf dem Tisch lag.

Hätte es nicht geklingelt, wäre Gion jetzt nicht auf dem Weg zu ihnen. Oder sie wüsste wenigstens nichts davon.

Ihre Grosstante nickte ernst. »Das stimmt. Du musstest immer alles ausprobieren, während er der Leidtragende war.«

Joana runzelte die Stirn. »Das stimmt so nicht«, verteidigte sie sich, konnte sich aber ein Lächeln nicht komplett verkneifen. Natürlich war an der Aussage ihrer Grosstante einiges dran, unter anderem auch, dass Joana die Ideen zu den Streichen gehabt hatte und Gion ihr gefolgt war.

»Sei nicht so hart zu ihm«, verlangte Josephine mit Nachdruck.

Joana konnte nur mit Mühe ein Seufzen unterdrücken. »Ich bin nicht hart zu ihm. Und falls doch, dann hat er es verdient.« Für einen Moment dachte sie an die Zeit ihres Studienanfangs zurück. Sie hatte Gion geliebt … und er sie. Doch plötzlich hatte er mit haltlosen Vorwürfen um sich geworfen und ehe sie es sich erklären konnte, den Kontakt abgebrochen.

Ihre Grosstante hob die Augenbrauen ein wenig. »Bevor der Junge kommt, hol doch bitte bei der Verwunschenen Quelle noch etwas Wasser.«

Ganz unglücklich, dass Josephine das Thema nicht weiter vertiefte, war Joana nicht, trotzdem seufzte sie beim Gedanken daran, dass sie schon wieder den Hügel hochstapfen sollte. Aber was tat man nicht alles für ein bisschen sauberes Trinkwasser und die gute Laune der Grosstante. Ein Seufzen unterdrückend, erhob sie sich und packte den Kessel ergeben.

Grosstante Josephine unterbrach ihre Strickarbeit und warf einen Blick zum Fenster hinaus. »Ich leg mich mal kurz hin, ich bin etwas müde.« Sie schenkte Joana ein entschuldigendes Lächeln und verzog sich in den Raum gleich hinter der Küche.

Mit schief gelegtem Kopf sah Joana ihr hinterher. Sie kannte Josephine nur als quirlige, topfitte Frau – jedenfalls für ihr Alter. Dass sie jetzt so erschöpft war und sich für ein Mittagsschläfchen bereit machte, liess nagende Sorge in der jungen Frau aufkeimen.

Der Wind wehte ihr harte Schneeflocken ins Gesicht, als sie die Tür aufstiess. Obwohl die frische Luft wieder Leben in ihren müden Kopf brachte, verfluchte sie den Schnee innerlich. Sicherheitshalber warf sie ihrer roten Knutschkugel einen Kontrollblick zu. Das Dach schien noch intakt, keine Lawine hatte den heiss geliebten Käfer unter sich begraben. Doch bei dem Schneefall würde sie ihn nie freigeschaufelt bekommen. Sobald sie hinten fertig wäre, läge vorn schon wieder so viel Schnee wie am Anfang.

Der Weg zur Quelle, den sie gestern Abend genommen hatte, war kaum mehr zu erkennen, so viel hatte es in der Nacht geschneit. Sie nahm einen kleinen Umweg in Kauf, um nicht durch das verdichtete Lawinenmaterial waten zu müssen. Ansonsten hielt sie sich an die kürzeste Strecke.

Je näher sie der Quelle kam, desto heftiger stiess der Wind sie davon weg. Es war, als wollte der Berg verhindern, dass sie dorthin gelangte.

Joana senkte den Blick und vergrub die Nase in ihrem Schal. Die Haut prickelte vor Kälte, doch nach dem lauen Morgen fühlte es sich nach Leben an, frei, wild und ungezwungen. Das Heulen in ihren Ohren schwoll an. Wie eine Stimme dröhnte es durch Mark und Bein, warnte sie davor, näher zu treten.

Für einen Augenblick sah sie sich selbst vor ihrem inneren Auge, wie sie gestern Nacht neben der Quelle gekauert hatte, um den Kessel zu füllen. Funken sprühten um sie herum, wirbelten die Luft auf und malten bunte Striche an die Felswand, die mit der Bewegung des Wassers aufschreckten.

Verwirrt schüttelte Joana den Kopf und damit die unwirklichen Bilder ab. Sie bildete sich hier Dinge ein, die es gar nicht gab. Die eiskalten Zehen hatten sie nicht schlafen lassen, der Schlafmangel machte sich nun bemerkbar. Dabei hatte sie sich in dieser Woche doch erholen wollen.

Erleichtert entdeckte sie den dunklen Bachlauf, der sich durch den ganzen Schnee schnitt. Mit neuer Motivation brachte sie die letzten Meter hinter sich, drückte sich an die Felswand und trat zur vor Wind und Wetter geschützten Quelle.

Wieder wirbelten ihre Schritte Frühlingsluft auf, die sie mit einem Lächeln auf den Lippen einsog. Es passte zwar überhaupt nicht zur Weihnachtszeit, doch die Aussicht auf wärmere Tage liess Joanas Herz ein bisschen schneller schlagen.

Im Winter musste sie sich abmühen, wasserdichte, griffige und gleichzeitig elegante Schuhe zu ergattern, musste vor der Arbeit den Käfer von Schnee oder Eis befreien und dann standen die Haare auch noch in alle Richtungen ab, wenn sie den Schal an den Kleiderständer hängte.

Sie mochte den Winter nicht.

Also sollte sie sich so rasch wie möglich wieder auf den Rückweg machen. Sie kauerte sich neben die Quelle, tauchte den Kessel ein und liess das Wasser gemächlich einlaufen, bevor sie ihn wieder herauszog. Mit einem Ruck stand sie auf, zog das ganze Gewicht mit sich.

Eine Bewegung von der anderen Seite der Quelle liess sie herumwirbeln. Als sie ein Paar tiefblauer Augen erblickte, erstarrte Joana, unfähig, in ihrer Panik um Hilfe zu schreien.

Der fremde Blick liess sie frösteln, wenn nicht gar erbeben, und sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Noch ein wenig fester umklammerten ihre Hände den Griff des Kessels. Mit einem möglichst unauffälligen Schwenken testete sie, wie viel Kraft es brauchte, um ihn dem Unbekannten an den Kopf zu knallen.

Die Augen schienen sie regelrecht einzusaugen, sie beherrschen zu wollen. Ihr Herz schlug einen schnelleren Takt an. Obwohl alles in ihr danach schrie, die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, so schnell es nur ging, blieb sie stehen. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

Nach und nach sah sie mehr als diese stahlblauen Augen, so tief wie ein Bergsee und mindestens genauso geheimnisvoll, und sie wurde der sinnlichen Lippen und der mit Eiskristallen überwachsenen Augenbrauen gewahr.

Eiskristalle? Ihre Neugier hätte das Phänomen am liebsten untersucht, während das Herz vor Angst flatterte. Sie wollte sich selbst in den Arm kneifen, um aus dem Traum zu erwachen, doch sie konnte sich nicht regen. Wie feine Fesseln hielt die Angst sie gefangen.

Noch immer lächelnd, schälte sich der Mann aus dem Berg. Er war gross, vielleicht sogar zwei Meter, und keine Falte durchschnitt sein ebenmässiges Gesicht. Die jugendliche Haut wirkte surreal, nicht nur wegen der eisigen Farbe, sondern vor allem wegen des Alters seiner Augen. Jahrhunderte schienen in ihnen zu stehen. Er musste Zeiten kommen und gehen gesehen haben, die sie nicht einmal benennen konnte.

Joana sank in sich zusammen, doch sie blieb wie von unsichtbaren Händen gehalten stehen. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu. Der Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht war, seine unnatürlichen Augen, die Frühlingsluft bei der Quelle. Irgendwie mussten sich diese Beobachtungen doch natürlich erklären lassen. Die unendliche Tiefe der Bergseeaugen konnte sie sich eingebildet haben, auch wenn sie jetzt noch in diesem atemberaubenden Blau stand. Dass er einfach aufgetaucht war … aus dem Berg aufgetaucht war … Sie schluckte.

Ein schlechter Traum. Es musste ein wahnsinnig schlechter Traum sein, oder ein noch viel mieserer Scherz. Sie hoffte inständig, bald aus diesem surrealen Traum zu erwachen. Gleichzeitig wusste sie, dass es keiner war.

 

Miss Superschlau

 

»Komm mit mir, meine Königin«, hauchte er mit gluckernder Stimme. Sie erinnerte Joana an Wasser – und an jemanden, der es gewohnt war, dass jeder ihm gehorchte.

Um Joana herum wurde es noch eisiger, an der kupferfarbenen Strähne, die der Wind beim Aufstieg gelöst hatte, wuchsen filigrane Eisblumen. Der sich kringelnde Atem gefror noch in der Luft zu winzigen Kristallen und fiel mit einem leisen Rascheln auf ihre Jacke und den Schnee.

»Du bist die, die den Frühling bringt und mich zum König macht«, flüsterte er weiter.

Mit unwirklich flüssigen Bewegungen kam er auf sie zu. Seine Füsse berührten das Wasser, mussten es berühren, doch Joana sah es nicht, weil sie von diesen Augen so sehr gefangen war, dass sie in ihnen versank. Mit Haut und Haar.

Als sie es realisierte, blinzelte sie. Das waren nicht ihre Gedanken, die sie leiteten, redete sie sich ein. Das war allein die Magie dieser … Gestalt, die sie vollkommen in ihrem Bann gefangen hielt. Sie wollte, dass der merkwürdige Mann weitersprach, obwohl sie die Spielchen durchschaute. Sie spielte die genau gleichen mit Kunden und ihrer Zielgruppe. Mit Reizen locken, subtile Gedanken und Wünsche wecken, Träume entfachen …

Beim Gedanken daran schluckte sie. Das, was der Typ da betrieb, war bestes Marketing. Sie räusperte sich, um ihrer Stimme den ängstlichen Klang möglichst zu nehmen, und versuchte, sich auf sich selbst und nicht auf diese wundervollen Augen zu konzentrieren. »Guten Tag. Mein Name ist Kramers, Teamleiterin Marketing.«

Jetzt war er es, der innehielt und sie mit leicht angehobenen Augenbrauen beobachtete. Dass er sich auch aus der Ruhe bringen liess, schenkte ihr zumindest ein bisschen Hoffnung.

»Ich glaube nicht, dass mich das zur Königin macht.« Sie lächelte und erwiderte seinen Blick. Vielleicht lockte sie ihn dadurch weiter aus der Reserve. Sie musste das Gespräch in eine Richtung lenken, die sie schnell und gefahrlos fliehen liess, oder in der sie sich zumindest wohlfühlte.

Mit geschmeidigen Schritten näherte er sich. Dabei strahlte er eine Dominanz aus, die sie erschauern liess. Joana zwang sich, ihn weiterhin anzusehen, obwohl jeder Schritt ihre Knie stärker zittern liess. Sollte er ruhig glauben, dass sie diesen wunderschönen Augen begegnen konnte. Wich sie aus, hatte sie schon verloren.

Als er direkt vor ihr stand, beugte er sich leicht vor, neigte den Kopf zur Seite und brachte das Gesicht so nah an ihren Hals, dass sie den Lufthauch auf ihrer Haut spüren konnte, den sein Atem verursachte.

Wie versteinert blieb sie stehen. Schnupperte er etwa an ihr? »Bevor man jemandem so nahe kommt, stellt man sich in der Regel vor«, rutschte es ihr heraus. »Und eine Einladung zum Kaffee geht dem meist auch voraus.«

Die Bewegungen mussten aus einer anderen Welt oder einer fremden Zeit stammen. Wie fliessendes Wasser stellte er sich aufrecht hin. Die blauen Bergseeaugen funkelten. Während seine Lippen ein hauchdünnes Lächeln bildeten, zuckte sein Blick zwischen ihren Augen hin und her. »Hast du es vergessen, Jo?«, fragte er leise. Jetzt raspelte die Stimme wie eine Käsereibe auf Stein – faszinierend und gleichzeitig ekelhaft.

Joana konnte ein erneutes Schaudern gerade noch verhindern und runzelte die Stirn. »Ganz bestimmt würde ich mich an diese Augen erinnern, wenn ich sie schon einmal gesehen hätte.«

Der mysteriöse Mann erstarrte für einen Wimpernschlag, öffnete die Lippen zu einem vorfreudigen Grinsen und zeigte dabei spitze Eckzähne, die Joana noch gar nicht aufgefallen waren. Wie ein Vampir, der seine Zähne in wenigen Augenblicken in Frischfleisch schlagen würde, leckte er sich über die Oberlippe.

Erschrocken holte sie Luft und plötzlich war der Kessel in ihren Händen noch wichtiger. Notfalls konnte sie ihm den an den Kopf knallen.

»Dann erinnerst du dich vielleicht daran?«, erwiderte er mit belegter Stimme und machte einen Schritt auf sie zu.

Joana wich zurück. Noch einmal, und noch ein weiterer Schritt, bis der Berg ihre langsame Flucht beendete. Sein Gesicht näherte sich ihrem, kalter Atem strich über ihre Wange. Er wollte sie küssen!

Sie liess den vollen Kessel mit einem hohen Kreischen fallen. Er landete auf den Füssen des schrecklichen Wesens, kippte um, und das Wasser lief ihm über die Füsse und in den Schnee.

Der Mann schrie auf. Den Moment nutzte Joana, um ihn mit aller Kraft von sich zu stossen. Das Wasser war ihr egal, an den leckeren Tee, der sich daraus zubereiten liess, dachte sie gar nicht. Sie wollte nur noch weg hier, weg von diesem geheimnisvollen Wesen und nach Hause.

Sie sprang zum schmalen Absatz. Hinter sich hörte sie das Platschen des Wassers, als er im Teich landete. Sie sah über die Schulter zurück, während ihre Füsse über den Schnee flogen. Er war verschwunden, einfach weg. Für einen Moment glaubte sie, ein tiefblaues Leuchten im kleinen Teich zu sehen, doch dann war es verschwunden. Das Gänsehautgefühl im Nacken liess sie rennen.

Sie stolperte über einen Stein, der im Schnee verborgen gewesen war, machte eineinhalb Purzelbäume den Hang hinunter und blieb mässig elegant mit dem Gesicht nach unten liegen. Mit beiden Händen drückte sie sich ab. Unter ihrem Gewicht gab der Schnee nach, griff mit kalten, nassen Fingern nach ihr.

Atemlos drehte sie sich zur Seite. Ein gluckerndes Lachen ertönte und jagte ihr durch Mark und Bein. Joana kämpfte sich zurück auf die Beine, lief durch den Schnee, rannte um die Hütte herum, bis sie die Tür hinter sich zuknallte. Mit zitternden Händen klaubte sie den Schlüssel aus dem oberen Garderobenfach und schloss die Tür ab.

»Hey, Jo«, erklang eine männliche Stimme aus der Küche.

Mit einem Kreischen fuhr Joana herum und drückte sich gegen die dünnen Holzbretter, die sich Tür schimpften. Ihr Herz galoppierte, die Beine zitterten. Noch ein solcher Schreck und sie würde sich einnässen.

Im Gegenlicht konnte sie nur die schlanke Gestalt mit den zerzausten Haaren erkennen. Auf der Suche nach einer Waffe huschten ihre Augen zur Garderobe.

Als der Mann leise, vielleicht gar ein wenig unsicher in sich hineinlachte, fiel ihr das Telefongespräch mit ihm wieder ein. Die Sache mit dem Wesen bei der Quelle hatte sie so aus dem Konzept gebracht, dass sie alles andere ausgeblendet und nicht mehr an ihn gedacht hatte. »Gion.« In ihrer Stimme schwang eine Mischung aus Angst und Freude mit. Erleichterung.

Er war ein Mensch. Er war vernünftig – manchmal jedenfalls. Und normal. Zumindest so etwas wie normal. Joana liess die Luft aus ihrer Lunge entweichen. Gleichzeitig wich die Anspannung in ihrem Inneren.

»Hast du mich schon wieder vergessen?« Gion fuhr sich mit der Hand durch seine zerzausten Haare.

Natürlich, der Mann von der Quelle hatte gar keinen Wuschelkopf. Auch die Stimme passte nicht. Es musste Gion sein. Wie sein plötzliches Auftauchen sie derart erschrecken konnte, war ihr inzwischen schleierhaft. Mit leicht zusammengekniffenen Augen entspannte sie sich und gönnte sich einen Moment, ihren Freund aus Kindertagen zu betrachten.

Er hielt sich am Türrahmen fest. Trotz der Kälte trug er nur ein Kurzarmshirt. Athletische Muskeln zeichneten sich gegen das Tageslicht aus der Küche hinter ihm ab, als er die Hände löste und leise in sich hineinlachte. »Hast du seit damals wirklich so viele Männer geküsst, dass meine Küsse dir nicht im Gedächtnis geblieben sind?«

»Nicht schon wieder«, stöhnte sie auf. Das war heute das zweite Mal, dass ein Mann behauptete, sie würde sich mit einem Kuss an ihn erinnern. Beim Teutates, sie lebte bestimmt nicht abstinent, aber das hiess keinesfalls, dass sie sich jedem Mann an den Hals warf und ihm einen Kuss abrang. Fassungslos schüttelte sie den Kopf.

Aber an Gions Küsse erinnerte sie sich.

Sie zog Schuhe und Jacke aus und ging auf Gion zu, dessen Wangengrübchen sich vertieften. Sie erwiderte sein Lächeln, ihr Herz klopfte leise, auch wenn sich der Verstand dagegen auflehnte. »Wenigstens weiss ich noch, dass da mal was war.« Joana spürte, wie sich ihr Gesicht aufhellte und sich gleichzeitig schmerzliche Kälte in ihr ausbreitete. Sie schluckte und gab sich Mühe, sich die Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Es war doch schon so lange her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Eigentlich sollte ihr seine Anwesenheit egal sein.

Um sich abzulenken, quetschte sie sich an ihm vorbei in die Küche und schob zwei Scheite in den Ofen, um wenigstens ein bisschen Wärme zu erhalten. Der kurze Marsch zur Quelle steckte ihr noch immer in den Knochen, allerdings eher in den geistigen als in den körperlichen.

Gion drehte sich zu ihr um und lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. »Willst du mich nicht begrüssen?«

Joanas Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, obwohl sie es eigentlich nicht zulassen wollte. »Reicht es nicht, dass ich mich an dich erinnern kann?«

Er zuckte mit den Schultern. »Natürlich, Miss Superschlau.« Er zwinkerte ihr zu und setzte sich ungefragt an den Tisch. »Oder schon eine Misses?«

Joana zwinkerte gegen ihren Willen. Heute schien ihr Körper ein Eigenleben zu führen, ein ganz mieses noch dazu. »Küsse ich denn gut genug, um eine Misses sein zu können?« Innerlich verfluchte sie sich dafür, dass sie sich ihm so öffnete und auf seine Anspielungen einging, als hätte er ihr nie misstraut.

Er wackelte mit der Hand. »Damals war es nicht sehr berauschend.«

Joana sah sich nach einem Lappen um, nach etwas, was sie nach ihm werfen konnte, ohne ihn zu verletzen, sollte sie ihn tatsächlich treffen. Nicht dass sie ihn jemals getroffen hätte. Doch auf die Schnelle geriet ihr nichts zwischen die Finger.

»Aber wir können gerne testen, ob du ausreichend geübt hast.«

Joana zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Da mach dir mal keine Gedanken, ich komme zu meinen Übungsstunden.« Sie musste ihrem Sandkastenfreund ja nicht auf die Nase binden, dass im Moment eine ziemliche Flaute herrschte.

»Was machst du hier?«, wechselte sie das Thema und wärmte den letzten Rest des Wassers aus der Quelle auf. Eine Tasse Tee schadete nie, da waren Grosstante Josephine und sie sich einig. »Es liegt nicht wirklich auf dem Weg und die Strassenverhältnisse sind eher ungünstig.«

Er warf einen Blick aus dem Fenster und gab Joana damit die Möglichkeit, ihn unbemerkt zu betrachten. Seine Haare standen noch immer wirr vom Kopf ab wie eh und je, die Lippen waren schmal, mit Mundwinkeln, die immer ein wenig aufwärtsgerichtet schienen und dabei die Grübchen betonten.

Gion seufzte und holte damit die Schwere eines jungen Lebens in den Raum, um sie mit einem leichten Lächeln gleich wieder zu vertreiben. »Jemand muss sich doch um Grosstante Josephine kümmern. Sie ist einsam.«

»Ich bin ja da«, platzte Joana heraus und fühlte sich im selben Augenblick ertappt, nicht ausreichend oft hier vorbeizusehen. Doch wenn sie sich schon so dämlich geoutet hatte, konnte sie auch gleich das Positive daraus ziehen. »Du kannst also beruhigt gehen.« Sie versuchte sich an einem selbstsicheren Grinsen. Es wurde schnell unsicher, als Gion nicht auf ihre Neckerei einging.

Gion ging immer auf Neckereien ein.

Jetzt wartete er nur darauf, ihren Blick einzufangen und festzuhalten. »Grosstante Josephine fühlt sich einsam, Joana. Oft ist sie tagelang allein. Nur ich bin hier, um mich hin und wieder zu einem Tee überreden zu lassen.« Er grinste schief.

Joana wusste nur zu gut, dass er keinen Tee mochte. Dass er sich dennoch von Josephine dazu überreden liess, verstärkte ihren Eindruck, dass er in ihr eine Art Ersatzmutter gesehen hatte. Vielleicht tat er es immer noch.

»Ich mache weder dir, deinen Eltern noch sonst wem einen Vorwurf. Ihr lebt euer Leben, das ist euer gutes Recht«, fügte er rasch hinzu, ohne ihr in die Augen zu sehen.

Er warf es ihr also doch vor. Um das zu spüren, kannte sie ihren ehemaligen Freund gut genug.

»Und wie geht es dir so?«, fragte er mit einem kaum hörbaren Seufzen und wechselte das Thema.

»Wunderbar«, antwortete Joana und lächelte. »Ich arbeite bei einem renommierten Unternehmen und werde demnächst meine eigene Agentur eröffnen.« Das hoffte sie zumindest.

»Werbung?« Endlich blickte Gion sie wieder mit seinen herrlich braunen Augen an. Wer nicht nah genug an ihn herankam, sah nur die dunkle Farbe, trat man aber näher, wirkten seine Augen wie ein Lufthauch im Sommer, der die Farben von frischer Erde mit sich trug und nach warmen Baumstämmen roch.

»Marketing«, korrigierte sie ihn aus Gewohnheit. Den unterschwelligen Seitenhieb verstand sie nicht gleich. Als er leise in sich hineinlachte, hob sie eine Augenbraue und starrte ihn von oben herab an. Ein Glück, dass sie sich noch nicht gesetzt hatte und damit grösser war als er.

Jetzt lachte er laut los. Unglaublich, er lachte einfach! Joana starrte ihn fassungslos an, schüttelte langsam den Kopf. Sie schlang die Arme um den Oberkörper, als würde sie frieren, dabei verunsicherte sie seine lockere Art nur.

Seine Bewegungen, der Ton, wie er sprach, lösten eine unbekannte Sehnsucht in ihr aus. Sie wusste nicht, wonach oder weshalb, aber da war dieses Ziehen, das sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte. Erinnerungen? Längst begrabene Träume? Das Bedürfnis, jemanden, der mit ihr durch dick und dünn gegangen war, wieder in ihrem Leben zu haben?

Als sich Gion von seinem Anfall erholt hatte, blitzten seine Augen fröhlich auf. »Wie oft hast du mich verbessert, bevor du gegangen bist? Mindestens zweitausendmal. Und ich hätte es auch dreitausendmal gesagt, nur um das kämpferische Funkeln in deinen Augen zu sehen.« Um seinen Worten die Spitze etwas zu nehmen, zwinkerte er ihr zu.

Joana gelang ein Lächeln. Eigentlich hätte sie gern laut aufgelacht, doch diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen. Mit der dampfenden Teetasse in der Hand setzte sie sich ihm gegenüber. »Wie läuft es bei dir?«

Er lehnte sich zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. »Ach, weisst du«, begann er gedehnt, »mit meinem Unternehmen mache ich Millionen.«

Joana horchte auf. Millionen. Unternehmen. Marketing. Vielleicht konnte sie ihn als neuen Kunden gewinnen. Jeder erfolgreiche Unternehmer brauchte …

»Millionen Fliegen.« Gion lachte und beobachtete ihre Reaktion, die zu ihrem Verdruss genau so ausfiel, wie er geplant hatte.

Verfluchter Menschenkenner! Joana grummelte in sich hinein, was Gion nur noch lauter auflachen liess.

»Um ehrlich zu sein, gibt es nicht viel Neues hier. Die Susi bewirtet im Ochsen immer noch dieselben Stammgäste, viele der jungen Leute wandern ab.« Er seufzte. »Von unserer Gruppe damals bin ich der Einzige, der übrig geblieben ist.«

Unwillkürlich stellte sich Joana sein Leben vor. Es musste einsam sein. Früher hatten nicht nur sie sich blendend verstanden, auch ihre ganzen Freunde hatten sie wie einen riesigen Bund Trauben um sich geschart. Von den zwölf Männern und Frauen war also nur Gion geblieben. Da auch Joanas Eltern nach dem Wegzug kaum mehr von Winterhort gehört hatten, wusste sie selbst nicht viel von dem, was genau passierte. Nur hin und wieder hatte sie von jemandem gehört, der weggezogen war oder geheiratet hatte.

»Tut mir leid«, murmelte sie leise. »Es ist sicher nicht immer einfach.«

»Ist es nicht.«

Irgendwie erstaunte es sie, wie offen und locker Gion mit ihr umging, nach allem, was sie beide durchgemacht hatten – oder eben nicht. Als sie wirklich etwas hätten durchmachen müssen, waren sie vor der Herausforderung zurückgeschreckt, und er hatte den Kontakt abgebrochen.

»Aber ich kann damit umgehen. Auch mit Menschen, die wesentlich älter oder jünger sind, kann ich befreundet sein. Mach dir meinetwegen keine Gedanken.«

»Mach ich nicht«, murmelte Joana. Mit den Gedanken um Gion hatte sie schon vor langer Zeit aufgehört.

Er sah sich um. »Wo ist eigentlich die Dame des Hauses?«

Joana zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Tee. »Sie wollte sich nach dem Mittagessen kurz hinlegen.«

Zweifelnd starrte Gion sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wirklich? Das macht sie doch sonst nie.«

Er schien noch weiter zu überlegen, doch Joana schenkte dem keine Bedeutung. Wenn er ihr etwas sagen wollte, würde er es tun, da hatte sie keine Bedenken.

»Sieh doch rasch nach ihr«, bat er sie mit noch immer gleichem Ausdruck.

Mit einem leisen Seufzen stand sie auf, schritt an Gion vorbei und kassierte dabei einen halb freundlichen, halb mahnenden Schlag auf den Oberschenkel. »Es geht um deine Grosstante, Miss Eingebildet.«

Joana verdrehte die Augen. Wie hatte ein so selbstgefälliger Schnösel jemals ihr Herz erobern können? »Vorher war ich noch Miss Superschlau.« Ohne auf eine Antwort zu warten, trat sie durch den dunklen Gang. Sie klopfte an die Tür und horchte einen Moment. Als sie nichts hörte, versuchte sie es noch einmal, dann drückte sie die Klinke.

Eiskalter Wind erfasste sie, zwängte sich heulend an ihr vorbei in die Küche. Fröstelnd zog Joana die Strickjacke enger um die Schultern, doch die weiten, schicken Maschen luden jeden Lufthauch ein, ihr die Wärme zu klauen. Mit grossen Schritten war sie beim Fenster und drückte die Scheiben gegen den Wind zurück in den Rahmen. Immer wieder wackelte er an einem Flügel in ihrer Hand, entriss ihn ihr, um dann wahlweise gegen die Wand oder den Fensterrahmen zu schlagen. Joana lehnte sich gegen die kalten Scheiben, griff mit klammen Händen nach dem Verschluss und sicherte das Fenster endlich.

Als sie sich umdrehte, blieb ihr der Atem im Hals stecken. Grosstante Josephine war verschwunden!