Heute gibt es einen Gastbeitrag von Elena Lucia Claussen. Viel Spass mit der wundervollen Kurzgeschichte, die Teil des Autoren-Adventskalenders 2024 ist!
Hans-Peter war ein einsamer, alter Mann. Er lebte alleine in einer kleinen Wohnung in der Stadt. Tagsüber schaute er meist Fernsehen oder las Zeitung, andere Hobbys hatte er nicht. Sein ganzes Leben kam ihm vor wie ein nie endender Strudel der Langeweile. Eines Sonntagnachmittags saß er in seinem alten Schaukelstuhl und las mal wieder die Zeitung. Da entdeckte er plötzlich eine Anzeige: „Weihnachtsmarkt – viel Trubel und Jubel“. Hans-Peter zog die Augenbrauen nach oben und dachte nach. Beim Weihnachtsmarkt, da war er schon lange nicht mehr gewesen… Normalerweise mochte er es nicht, dort hinzugehen, da waren ihm einfach zu große Menschenmassen. Aber irgendetwas in ihm sehnte sich danach, sich doch noch einmal dorthin zu schleppen. Er klappte die Zeitung zusammen und schaltete den Fernseher ein. „Auch dieses Jahr ist wieder viel los, hier auf dem Weihnachtsmarkt in Duisburg“, dröhnte die Nachrichtenstimme aus dem Fernseher. „Menschen aus allen Städten sind hergereist, um sich die über zweihundert Stände anzuschauen…“ Hans-Peter seufzte. Ob er nun wirklich hingehen wollte, das würde er sich die nächsten Tage noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Tatsächlich entschied er sich dann dafür, den Weihnachtsmarkt am Samstagabend zu besuchen. Mit der Straßenbahn fuhr er in die Innenstadt und verschaffte sich erst einmal einen Überblick über die Stände. Das versuchte er zumindest, allerdings wuselten überall so viele Menschen herum, dass er dazu keine Chance hatte. Also lief er einfach los und ließ sich überraschen. Es war schon dunkel und die Weihnachtsbeleuchtung an den Ständen leuchtete angenehm in warmen Farben. Hans-Peter blendete sie aber nur und überhaupt konnte er sich an dem weihnachtlichen Bild, das sich ihm bot, nicht freuen. Dabei hätte er dazu allen Grund gehabt. Über Nacht hatte es geschneit, was ein angenehmes Knirschen unter den Fußsohlen verursachte. Auf den Dächern der Stände lag Puderschnee und tauchte alles in einen winterlichen Zauber. Zumindest für die meisten Leute, nicht aber für Hans-Peter.
Grimmig stapfte er zwischen den Buden hindurch und fragte sich, wieso er überhaupt hergekommen war. Dann, ganz plötzlich, lief auf einmal ein Dackel vor seine Füße und schaute ihn an. Hans-Peter grummelte und lief um den Dackel herum. Doch dieser folgte ihm und wich ihm nicht mehr von der Seite. „Hör auf mir zu folgen, du blödes Mistvieh!“, rief Hans-Peter und wollte den Dackel schon treten. Doch dann erinnerte er sich daran, dass der Dackel wahrscheinlich jemandem gehörte und einen Streit mit dem Besitzer anfangen, das wollte er jetzt ganz sicher nicht. Deswegen starrte er den Dackel nur böse an und lief weiter. Er versuchte sich so zwischen die Menschen zu drängen, dass der Dackel ihn nicht mehr finden konnte, doch mit seinen kurzen Beinchen schlüpfte der Dackel einfach durch die ganzen Menschen hindurch. Schließlich gab Hans-Peter es auf, den Dackel loszuwerden und lief einfach weiter. Den Dackel, der nun angefangen hatte zu kläffen und an ihm hochsprang, beachtete er einfach nicht. Er überlegte. Sollte er vielleicht einfach wieder nach Hause fahren? Dann wäre er zumindest dieses kläffende Biest los. Andererseits wäre er dann völlig umsonst hergekommen. Aber was war überhaupt der Grund, weshalb er hergefahren war? Hans-Peter wusste es selbst nicht.
Plötzlich schnappte der kleine Dackel seinen Mantel und zerrte daran. „Hey, was soll das! Lass gefälligst los!“, schrie Hans-Peter empört und wollte sich losreißen. Doch der Dackel war stärker, als er aussah, und zog ihn von der Menschenmasse weg, hinter eine Bude. Hier war es schön ruhig. Der Dackel setze sich hin und schaute zu Hans-Peter hinauf. Dann lief er davon und sauste blitzschnell zu einer Bude, wo er sich einen Keks schnappte. Ha, jetzt bin ich ihn los, dachte sich Hans-Peter und wollte schon wieder weglaufen. Da kam der Dackel plötzlich wieder zu ihm zurückgeflitzt, den Keks im Maul. Der Keks hatte die Form eines Sterns und sah, das musste Hans-Peter zugeben, echt lecker aus. Der Dackel stellte sich auf seine beiden Hinterpfoten und streckte ihm den Keks hin. „Ihhhhhhh, den esse ich niemals, da ist ja Hundesabber dran“, schnaubte Hans-Peter. Aber der Dackel blieb so lange auf seinen zwei Pfötchen stehen, bis Hans Peter den Keks dann schließlich in die Hand nahm. Essen wollte er ihn allerdings ganz sicher nicht. Der Dackel legte seine Pfote auf Hans-Peters Knie und schaute ihn so eindringlich an, dass Hans-Peter den Keks schließlich doch aß. Vorher reinigte er ihn allerdings gründlich mit einem Taschentuch.
Als er in den Keks hineinbiss, änderte sich plötzlich etwas. Es war fast so, als hätten sich Hans-Peters Augen geändert, denn er nahm die Welt ganz anders wahr. Der Schnee, der auf dem Boden glitzerte, kam ihm plötzlich ganz märchenhaft vor und als er sich umdrehte und auf den Weihnachtsmarkt schaute, lief ihm ein warmer Schauer durchs Herz. Die Lichter strahlten in den buntesten Farben, die Luft war erfüllt von einem süßlichen Duft. Es war wie ein Zauber. Er drehte sich zurück zu dem kleinen Dackel und auf einmal tat es ihm leid, dass er ihn hatte treten wollen. Doch der Dackel zwinkerte ihm freundlich zu, legte seine Pfote auf Hans-Peters Knie und sagte: „Gern geschehen Kumpel.“ Dann verschwand er plötzlich. Er löste sich einfach so in Luft auf. Hans-Peter riss den Mund auf: Träumte er etwa? Doch dafür fühlte es sich definitiv zu real an. Sein Herz war ganz warm vor Freude und nun wusste er: Es hatte sich wirklich gelohnt, herzukommen.
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