Ich freue mich, dir meinen ersten Gastbeitrag zu präsentieren, besonders mit der tollen Geschichte der lieben Vivi Thea Veloy. Sie macht beim diesjährigen Osterspecial des Autoren-Adventskalenders mit, hat jedoch keine eigene Homepage. Deshalb habe ich sie kurzerhand hier aufgenommen.
Viel Spass beim Lesen!
»Moira, ich brauche deine Hilfe.«
Überrascht sah die junge Frau von ihrer Arbeit auf. In der Tür des Heilertraktes stand Sorey. Über seiner glänzenden Rüstung trug er den edlen Umhang, der nur dem Kronprinzen von Yongard zustand. Die Innenseite war golden und wenngleich Moira ihn nicht sah, wusste sie, dass auf dem Rücken ein eindrucksvoller, feuerspeiender Drache eingestickt war.
»Ich grüße Euch, Prinz Sorey.« Moira legte den Stößel beiseite und erhob sich vom einfachen Hocker. »Wie kann ich Euch behilflich sein? Seid Ihr verwundet?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt in den Raum. Er wirkte ungewöhnlich unsicher. »Allerdings häufen sich in den letzten Tagen Meldungen über seltsame Wesen, die sich im Wald herumtreiben. Ich wurde gebeten, diese Gegebenheit untersuchen und dachte, du könntest mir helfen.«
»Ich?«
Ehe der Prinz antworten konnte, tauchte ein weiterer junger Mann neben ihm auf. Das braune Haar fiel ihm ins Gesicht und in den Augen lag ein verschmitzter Ausdruck. »Verzeih, das ist auf meinem Mist gewachsen. Ich dachte, du eignest dich besser als irgendwelche Prinzen, um ungewöhnliche Phänomene zum Frühlingsanfang zu untersuchen. Womit lässt sich ein neues Jahr schöner starten? Abgesehen von einem Drachenangriff mitten im Winter, natürlich. Außerdem weiß ich, dass sich ein gewisser Jemand wohler in der Anwesenheit einer äußerst fähigen Heilerin befindet.«
»Verzieh dich, Deyan!«, fauchte Sorey seinen Halbbruder an.
Moiras Magen krampte sich zusammen. Sie nahm den Stößel aus dem Mörser und deckte Letzteren ab, um ihre Gefühle zu verbergen. Der Drachenangriff hatte nur verhindert werden können, indem sie auf ihre Fähigkeiten zurückgegriffen hatte: Blutmagie. Sollte jemals bekannt werden, dass sie über solche Kräfte verfügte, war sie des Todes.
Mit einem tiefen Atemzug löste sich Moira von ihren Gedanken und band die schwarzen Locken im Nacken zusammen. Wenn der Prinz ihre Anwesenheit wünschte, hatte sie zu gehorchen, ganz einerlei, welche Gefahren ihr drohten. »Wie lange werden wir unterwegs sein? Gebt Ihr mir bitte noch einige Minuten, um einige Habseligkeiten zu packen?«
Sorey nickte. »Gewiss. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Wir werden allerdings nicht länger als einen, maximal zwei Tage fortbleiben. Eine Decke wäre möglicherweise hilfreich, für die Verpflegung ist bereits gesorgt.«
Nachdenklich wickelte sie die eine widerspenstige Locke, die sich nie mit den anderen zusammenbinden ließ, um ihren Finger. Ihr Meister war gerade nicht da, also musste sie ihm wohl eine Nachricht hinterlassen. Außerdem benötigte sie Heilutensilien.
Aus dem bestehenden Vorrat holte sie diverse Salben und Kräuter. Zudem packte sie Verbandsmaterial, Nadeln, Pinzetten und ein scharfes Messer. Mit in ihren Stoffbeutel wanderten ein zerlesenes Buch über die heimische Pflanzenwelt und Wechselkleidung. Sie warf noch einen letzten Blick durch den Raum und hoffte, nichts vergessen zu haben, ehe sie ihr Gepäck schulterte und zu Sorey trat.
Er musterte sie aus blauen Augen und schien etwas sagen zu wollen, doch schwieg er. Eine Spannung entstand, die Moira das Blut in die Wangen treib. Hastig senkte sie den Blick. Warum starrte er sie so an?
Sorey räusperte sich und verließ den Heilertrakt. Sie atmete tief durch und folgte ihm auf den Burghof hinaus. Dort hatte sich bereits ein Dutzend Krieger gesammelt, alle bewaffnet und gerüstet. Gerade wurden noch die letzten Lebensmittel in die Satteltaschen gepackt und einige der Ritter diskutierten über die beste Route.
Moira runzelte die Stirn. »Was erzählt man sich, dass ein solches Aufgebot gemacht wird?«
»Einige Monster sollen auf einer Lichtung in der Nähe des Flusses ihr Unwesen treiben«, erklärte der Kronprinz. »Manche behaupten, sie seien vom Feenwald herübergekommen und wollten die Stadt angreifen, andere erzählten von Kinderlachen, wieder andere hatten wohl die schönste Zeit ihres Lebens.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie erlebt, dass sich Erzählungen über ein und dieselbe Sache so sehr unterscheiden können.«
»Vielleicht handelt es sich nicht nur um ein Wesen«, murmelte Moira. Ihr geisterten bereits mehrere Möglichkeiten durch den Kopf, angefangen von verhältnismäßig harmlosen Irrlichtern über Geisterwesen bis hin zu Vampiren.
Sie unterdrückte ein Schaudern und ließ sich auf ein Pferd helfen. Sie konnte nicht reiten, doch hielte sie die Truppe nur auf, folgte sie zu Fuß. So klammerte sie sich am Sattel fest und vertraute darauf, dass das Tier wie die vorherigen Male seinen Artgenossen folgte.
Deyan gesellte sich auf einer schwarzweiß gescheckten Stute zu ihr. Der uneheliche Sohn des Königs und einer einfachen Magd hatte ein lässiges Lächeln aufgesetzt, doch in seinen braunen Augen las sie Ärger. Offenbar hatte er sich mit seinem Bruder gestritten. Worüber diesmal wohl?
Sie fragte nicht nach, sondern beobachtete schweigend, wie er die Zügel ihres Pferdes griff und sie am Ende des Trupps einreihte. Inzwischen hatten sich auch die anderen Männer in die Sättel geschwungen. Ganz vorn erspähte Moira den Mantel des Kronprinzen und mit einem lauten Ruf gab Sorey den Befehl zum Abmarsch.
Hastig klammerte sich die junge Heilerin am Sattel fest. Es dauerte einen Moment, bis sie das Vertrauen in ihr Gleichgewicht gefunden hatte und sich etwas entspannte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Wangdal war am Fuß einer riesigen Steinwand auf einem Hügel erbaut worden. Die Burg stand ganz oben, zum Teil in den Fels gehauen, darunter reihten sich die Häuser der Edelleute. Die Straßen waren gepflastert und sauber, das Wasser frisch. Ganz anders sah es auf der anderen Seite des recht schmalen Flusses aus. Auch hier war die obere Hälfte gepflegt, doch je weiter man sich von der Burg entfernte, umso schmutziger wurden die Straßen. Die Bewohner kleideten sich in Lumpen und die Häuser glichen Bruchbuden. Im Winter hatten ihr Meister und sie hier viele Tote gefunden, alle an einer Seuche gestorben. Niemand in diesem Stadtteil verdiente genug, um sich einen Heiler leisten zu können.
»Ist das nicht grauenvoll?«, fragte Deyan verbittert. »All die Menschen, die hier leben, schuften jeden Tag, um sich eine kärgliche Mahlzeit leisten zu können, während wenige hundert Schritte weiter der König in Saus und Braus lebt. Die Herrschaften sind sich zu fein, ihnen etwas zu geben. Die Bürgerliche sollen doch für ihr Essen arbeiten und das nächste Mal in eine Familie geboren werden, die das Geld besitzt, ihnen ein ordentliches Leben zu ermöglichen, wenn sie das jetzige ehrlich führen.« Er spuckte auf die Straße. »Was für ein Schwachsinn. Diese dämlichen Geldgeier sollten sich an die eigene Nase fassen. Sonst werden sie alle im nächsten Leben als Würmer oder Ratten wiedergeboren werden.«
Moira lächelte flüchtig. In Anbetracht dessen, dass er selbst ein Adliger war, hatte Deyan eine äußerst schlechte Meinung von ihnen. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Als offizielles Bastardkind des Königs hatte er es nicht leicht.
Der Tross ließ die Mauern der Stadt hinter sich. Zwischen den Feldern der zahlreichen Bauern ritt er auf den Wald zu, der in weiter Ferne begann. Sorey an der Spitze zog das Tempo an, sodass sich Moira verzweifelt am Sattel festklammerte. Sie fürchtete, bei jedem Schritt das Gleichgewicht zu verlieren. Doch wie durch ein Wunder blieb sie sitzen und atmete erleichtert auf, als sie den Waldrand erreichte.
Dort hob der Kronprinz die Hand und hielt den Tross dadurch an. Deyan griff nach den Zügeln von Moiras Pferd und führte sie in die Runde, die die Ritter bildeten.
»Es ist äußerste Vorsicht geboten«, wies Sorey seine Männer an. »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben oder wo genau sich die Wesen aufhalten. In vielen Erzählungen wird die Lichtung nahe das Yongstroms erwähnt. Wir werden dort unsere Inspektion beginnen. Haltet eure Waffen bereit und seid darauf gefasst, jederzeit in einen Kampf verwickelt zu werden. Verteidigt euch, wenn es nötig ist, greift jedoch nur auf meinen Befehl hin an. Habt ihr verstanden?« Sein Blick fixierte Deyan, der genervt die Augen verdrehte, jedoch gehorsam eine Zustimmung brummte. »Bleibt in der Gruppe und agiert auf keinen Fall allein. Wenn ihr etwas nicht kennt, was in irgendeiner Art und Weise mit der Natur zu tun hat, fragt Moira. Dafür ist sie hier.«
Unbehaglich rutschte sie auf dem Sattel hin und her. Das waren nicht unbedingt die Worte, die sie hören wollte. Möglicherweise kannte sie sich in der Natur besser aus als der Durchschnittsbürger von Wangdal, doch nicht auf dieser Seite des Flusses. Sie war im Feenwald aufgewachsen. Dort, wo die Schauermärchen der Stadt ihren Ursprung fanden und sich niemand hintraute, der noch klar bei Verstand war. Nicht nur die Atmosphäre dort war ganz anders, sondern auch die Pflanzen- und Tierwelt.
»Wir werden uns so leise wie möglich nähern«, fuhr Sorey ungeachtet ihrer ausbleibenden Antwort fort. »Wir sind nicht hier, um die Gefahr zu beseitigen, sondern um sie auszukundschaften und herauszufinden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen. Verstanden?«
»Jawohl!«, erklang es wie aus einem Mund.
Lediglich Deyan fiel aus der Reihe. »Ja, ja«, brummte er in seinen nicht vorhandenen Bart und löste seine lockere Haltung, als sein Bruder den Weg fortsetzte.
Ein sanfter Wind wehte durch die zartgrünen Blätter der Bäume. An schattigen Stellen waren noch die letzten Überreste des Winters zu sehen. Der Duft von feuchtem Humus stieg Moira in die Nase, gemischt mit dem Geruch der ersten Blüten. Immer wieder sprangen Kaninchen aus den Büschen davon oder Rehe beobachteten den Tross aus der Ferne. Ihr fiel es schwer, sich bei diesem Frieden ein Monster vorzustellen, das sein Unwesen trieb.
»Ich wundere mich immer wieder, dass Sorey ganz vorne reitet«, murmelte Deyan, sodass nur sie seine Worte vernahm. »Er ist der Kronprinz. Wenn er stirbt, muss ich das alles wieder ausbaden.«
»Ich dachte, du willst nicht, dass er König wird. Wolltest du nicht alles besser machen?«
Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Schon. Aber ich glaube nicht, dass ich das könnte. Ich bin sowieso nicht dazu berechtigt, den Thron zu übernehmen.«
»Warst du nicht vorübergehend Kronprinz, als Sorey letztes Jahr vom Jagdfest nicht zurückgekommen ist?« Moira hatte ihn damals verwundet gefunden und ihn nur durch ihre verbotenen Fähigkeiten retten können. Zu ihrem Glück war er ohnmächtig gewesen.
»Ja, schon. Deswegen weiß ich ja auch, was für eine scheiß Arbeit das ist. Außerdem hätten sie kaum einen Ungeeigneteren für diesen Posten finden können. Ich meine, ein bekannter Dieb als König? Das ist doch ein Witz!«
Moira ließ ihn in dem Glauben. Wahrscheinlich wäre gerade er mit seinen nüchternen Ansichten besonders geeignet, um einen Umschwung herbeizurufen und die Rechte der Bürgerlichen zu stärken. Sorey betrachtete manche Situationen zwar unvoreingenommen, doch häufig nicht so kritisch wie sein Bruder.
Der Tross hielt an und die Krieger stiegen ab. Moira und Deyan folgten dem Beispiel und schlossen sich dem Trupp an, der die Tiere zurückließ und so leise wie möglich durch den Wald schlich.
Die junge Frau fühlte sich denkbar unwohl. Sie befand sich inmitten von kräftigen, bewaffneten Männern. Jeder Einzelne von ihnen könnte ihr mühelos den Arm brechen, ohne eine Waffe dafür ziehen zu müssen. Was machte sie überhaupt hier? Warum war sie Mitglied dieses Spähtrupps?
Deyan stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Seite und deutete auf Sorey, der sie zu sich winkte. »Mein allerliebstes Bruderherzchen will etwas von dir.«
Sie schluckte jeglichen Kommentar hinunter und bewegte sich so leise wie möglich zum Kronprinzen.
»Da vorne ist die Lichtung«, flüsterte er und deutete auf einige Bäume, zwischen denen das Licht des Tages ungehindert auf die Erde schien. Auf den ersten Blick erkannte sie frisches, grünes Gras und einige Blumen, die sich bereits geöffnet hatten. Kein Monster, kein Drache, nichts, was sie ohne Vorwarnung angegriffen hätte.
»Zumindest laut den Erzählungen«, fuhr Sorey fort. »Wir schleichen uns an und sehen nach, was los ist. Möchtest du mitkommen oder bleibst du lieber hier und lässt dir von uns erzählen, was wir gesehen haben?«
Nachdenklich drehte sie die Haarsträhne um ihren Zeigefinger. Sie fühlte sich hier wesentlich sicherer, doch nur, wenn einer der Männer, am liebsten Deyan oder Sorey persönlich, bei ihr bliebe. Andererseits fiele ihr eine Zuordnung zu einem Wesen schwerer, wenn sie es nicht sah. Und laut dem Kronprinzen war sie nur deswegen hier.
»Ich komme mit«, entschied sie.
»Gut. Halte dich bitte im Hintergrund. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«
Moira nickte und gesellte sich wieder zu Deyan ans Ende des Trupps. Wie angekündigt schlichen sie gemeinsam über den feuchten Waldboden. Die Anspannung war beinahe greifbar. Die Krieger hatten ihre Hand auf die Waffen gelegt, um sie jederzeit ziehen zu können. Selbst der jüngere der beiden Prinzen war still, was an sich selten genug der Fall war.
»Was bei den Bluthexen …«, keuchte einer der Männer und verharrte an Ort und Stelle. Auch die anderen hielten inne und starrten die Lichtung sprachlos an.
Neugierig spähte Moira an ihnen vorbei und was sie sah, verschlug ihr den Atem. Zahlreiche Blumen wuchsen auf der grünen Lichtung, manche von ihnen hatten ihre Blüten bereits geöffnet. Farbenfroh reckten sie ihre Köpfe der Sonne entgegen. Über ihnen wirbelten handgroße Wesen mit durchscheinenden Flügeln und pechschwarzen Knopfaugen. Der menschenähnliche Körper wurde von bunten Kleidern bedeckt, die aus Blütenblättern entstanden zu sein schienen.
Neugierig flog eines dieser Wesen auf den vordersten der Gardisten zu. Diesem fiel nichts Besseres ein, als panisch zu schreien und nach dem Wesen zu schlagen.
Ein quietschender Jammerlaut erklang und das Wesen purzelte durch die Luft. Dabei stob eine violette Wolke auf und hüllte den Mann ein. Für einen Augenblick war er still. Als sich der Staub legte, waren seine Augen glasig und kurze Zeit später begann er panisch zu schreien und wild um sich zu schlagen.
»Was zum …?« Mehrere Krieger zogen ihre Waffen, bereit, die kleinen Wesen zu erschlagen.
»Nicht!«, rief Moira und hob die Hand, den Blick unentwegt auf die Wiese gerichtet. »Das sind Blütenfeen. Sie tun nichts, wenn wir sie nicht verletzen.«
»Blütenfeen?«, fragte Sorey nach.
Sie nickte. »Sie wandern mit den Samen ihrer Blumen. Im Frühjahr wachsen sie mit der Pflanze und verschwinden meist im Sommer wieder, um weiterzuziehen und sich einen anderen Ort zu suchen, an dem sie sich niederlassen können. Sie sind völlig ungefährlich, sofern sie keine Angst bekommen oder angegriffen werden. Im Gegenteil. Ihr in Frieden abgegebener Blütenstaub hat sogar eine positive Wirkung und kann viele Heiltränke verstärken.«
»Und was ist mit dem da?«, fragte einer der Krieger skeptisch und deutete auf denjenigen, der in die Wolke gehüllt worden war. »Das nennst du ungefährlich, Weib?«
Moira musterte den wild um sich schlagenden Mann. »Natürlich wehren sie sich, wenn sie angegriffen werden. Ihr Pollenstaub beinhaltet ein Halluzinogen, das unterschiedliche Auswirkungen hat, je nachdem, ob die Fee Glück oder Angst empfindet, wenn sie es abgibt.«
»Kannst du das beheben?«, wollte der Kronprinz nachdenklich wissen.
»Es klingt nach einiger Zeit von selbst ab, allerdings kann ich das beschleunigen, wenn Ihr das wünscht.«
Sorey nickte. »Ich bitte darum.«
Sie krempelte die Ärmel ihrer Tunika hoch. »In Ordnung. Deyan, hol bitte mein Gepäck. Ich brauche außerdem frisches Wasser und ein Gefäß, am besten einen Becher.«
»Was sollen wir mit ihm machen?«, fragte ein Krieger und deutete auf den verwirrten Mann.
Moira zuckte mit den Schultern. »Ihr könnt ihn loslassen und riskieren, dass er wegläuft, ihr könnt ihn aber auch fesseln. Das ist mir völlig egal. Es wird einen Augenblick dauern, bis ich den Trank beendet habe.«
»Kann ich etwas tun?« Sorey trat einen Schritt näher. In seinen blauen Augen las sie Unsicherheit.
Sie musterte ihn. Als Prinz war er zu einem Krieger und Strategen ausgebildet worden. Sie hatte ihn bisher nicht als einen besonders empathischen Menschen erfahren. »Traut Ihr Euch zu, liebevoll und freundlich zu einem dieser Wesen zu sein, um Euch mit ihm anzufreunden?«
Sein Blick wanderte skeptisch zu den Blütenfeen, die mit vorsichtiger Neugier wieder aus ihren Blüten krochen. »Äh … Nein. Ich denke nicht.«
Sie lächelte flüchtig und nickte. »Dann fürchte ich, könnt Ihr lediglich warten.«
»Hier, Moira.« Deyan tauchte mit dem braunen Pferd an den Züngeln auf und reichte ihr den Stoffbeutel. »Muss es explizit frisches Wasser sein oder reicht alles, was irgendwie trinkbar ist?«
»Etwas Trinkbares reicht aus. Es sollte ihn lediglich nicht vergiften.«
Er grinste schief. »Keine Sorge, das kriege ich hin.«
Das wollte sie doch hoffen!
Aus ihrem Beutel holte Moira ein Tuch und band es sich um Mund und Nase. Anschließend bedeutete sie ihren Begleitern, zu warten, und trat sie langsam auf die Wiese. »Hallo, ihr Lieben«, begrüßte sie die Wesen mit sanfter Stimme. »Ich komme in Frieden und will euch gewiss nichts tun.«
Hektisches Flattern war die Antwort und die Feen sammelten sich drohend, ohne sie jedoch anzugreifen.
Moira trat noch einige Schritte weiter, ehe sie sich auf die Knie sinken ließ, vorsichtig darauf bedacht, keine Blume zu zerdrücken. »Seht ihr? Ich bin ganz friedlich. Ich brauche nur euren Pollenstaub, um meinem Freund zu helfen.« Sie war sich sicher, dass die Wesen sie nicht verstanden, dennoch sprach sie ruhig weiter: »Ihr habt ihn erschreckt, deswegen hat er nach euch geschlagen. Er hatte keine bösen Absichten. Ihr habt euch vom Feenwald entfernt und hier kennen sie keine Wesen wie euch. Deswegen sind sie verunsichert und wissen nicht, wie friedliebend ihr seid. Ich bin mir jedoch sicher, dass sie sich um euch kümmern werden, wenn sie das erst herausgefunden haben.«
Ihre Rede zeigte Wirkung. Die Blütenfeen ließen nach und nach ihre Vorsicht fallen und flatterten näher. Neugierig zupften sie an Moiras Haaren und Kleidung oder stellten sich auf den Kopf, um sie aus einem anderen Winkel zu betrachten. Ein zarter Lufthauch strich über ihre Hand und leises, glockenhelles Lachen erklang. Bald tanzten die Wesen um sie herum, hinter ihnen einen Schweif aus bunten Pollen herziehend. Moira wurde in eine Wolke gehüllt, die alle Farben des Regenbogens widerspiegelte. Im Schein der Frühlingssonne glitzerte sie und verströmte einen unendlichen Frieden.
Der Staub legte sich auf sie nieder und blieb haften. Das Tuch verhinderte, dass sie ihn einatmete, entsprechend blieb sie von der halluzinogenen Wirkung verschont. Sie benötigte ihn lediglich, um den verwirrten Mann zu heilen.
Später, entschied sie und lehnte sich zurück. Vorerst wollte sie dieses frühlingshafte Spektakel noch eine Weile genießen.
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