Schreibaufgabe: Prota meets Monster
Das Feuer erlosch langsam, und mit ihm legte sich auch der dichte Wald um Tindra herum schlafen. Der abendliche Regenschauer war weitergezogen, die Kälte kroch immer tiefer durch ihre feuchten Kleidungsschichten.
Noch immer nicht müde sah Tindra sich um. Arin schlief schon, sein Brustkorb hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Das Land Vehni war anders als sie es erwartet hatte, geheimnisvoller, unnahbarer. Das brachte es wohl mit sich, wenn es den Hochgeborenen gehörte.
Plötzlich hörte sie Stimmen - oder wenigstens etwas ähnliches. Lautlos erhob sie sich und griff nach ihrem Schwert. Es schliff kurz über den Boden, entlockte ihm einen hässlichen Ton. Tindra hielt inne. Obwohl sie sich anstrengte, konnte sie die Stimmen noch immer hören. Sie kamen unaufhaltsam näher.
Nach einem letzten Blick zu Arin versteckte sie sich im dichten Unterholz, direkt neben einem Baum. Von hier konnte sie den Platz gut überblicken, selber aber nur schlecht gesehen werden.
Inzwischen konnte sie zwei Stimmen unterscheiden: Eine grässlich helle und eine andere, tiefere. Diese grummelte gerade etwas vor sich hin, als an einer Stelle nasse Blätter raschelten. Ein schriller Schrei zerschnitt die Luft.
Tindra sprang auf. Sie wusste, wo die Angreifer waren. Und egal, wie ungeschickt sie sich anstellten, sie hatte nicht das Bedürfnis, sich von irgendjemandem übers Ohr hauen zu lassen. "Raus da!", zischte sie. Die Schwertspitze zeigte geradewegs auf das Gebüsch, in dem sie vor wenigen Augenblicken die Bewegung wahrgenommen hatte.
Der zweite Schrei war ein bisschen weniger hoch.
"Bitte nicht ...", wimmerte es.
Tindra runzelte die Stirn. Wer schlich sich denn in der Dunkelheit an und bat dann um Nachsicht?
"Sei kein Feigling. Sie ist die Heldin, sie muss sich verteidigen können." Eines der breiten, grünen Blätter wurde zur Seite geschoben. "Und Andrea hat sie erfunden, also wird sie auch nett sein."
Zu Tindras Überraschung entdeckte sie zwei urkomische Wesen. Beide waren ungefähr so gross wie der Kopf eines Menschenkindes und genauso rund. Die Haut des einen war blau und schillerte wie Leder, wenn sie es im schwachen Lichtschein richtig sah. Das andere kauerte zitternd unter einem Blatt und sah sie aus schreckgeweiteten Augen an.
Hätte sie die beiden am helllichten Tag entdeckt, so hätte sie vermutlich laut losgelacht, doch dass sie sich angeschlichen hatten, bereitete ihr immer noch ein wenig Kopfzerbrechen. "Wer seid ihr?" Es hörte sich unfreundlicher an als sie beabsichtigt hatte.
Das blaue Ding trat nach vorne, sodass das Blatt nach hinten schwang und das rosa - bei Doana, diese Farbe! - umhaute.
Tindra kicherte.
"Ich bin Monsterchen", stellte sich das mutigere Wesen vor. "Wir sind hier, weil deine Autorin uns zu dir geschickt hat. Wir müssen ein bisschen mit dir quatschen. Weisst du, für ihre Leser."
Autorin? Leser? Und erst der Name: Monsterchen? Verständnislos schüttelte Tindra den Kopf.
"Du darfst es ihr nicht so sagen", widersprach Nummer zwei. Als es nach vorne trat, erkannte Tindra, dass das rosa Wesen ein bisschen kleiner war als das blaue. "Sie soll doch nicht wissen, dass sie nur erfunden ist."
Tindra wurde schwindelig, sie wich einen Schritt zurück. "Erfunden? Ihr meint, wie Arins Illusionen ...?" Oh ja, diese liessen sich wirklich mit einer erfundenen Wirklichkeit vergleichen. Wenn irgendjemand diese Scheisse hier erfunden hatte, sie derart quälte, dann würde sie diesen jemanden bis ans Ende der Welt verfluchen. Und dieser jemand sollte sich in Acht nehmen, immerhin war Doana, die Göttin des Todes, ihr sehr wohlgesonnen.
Moment - wenn sie selbst erfunden sein sollte, wie stand es dann um Doana? Um Mra'Theel?
Trotz des Schwertes trat Monsterchen unbeeindruckt näher. Seine Doppelgängerin in flauschigem Pink folgte ihm, allerdings mit einigem Abstand. "Wir ermuntern Andrea, dir ein gutes, schönes Ende zu gönnen."
Hoffentlich feuerten ihre Augen mindestens so harte Blitze ab, wie sie es sich gerade wünschte. Hatte tatsächlich jemand sie absichtlich in diesen Schlamassel geritten? Und dann wagen es die beiden Woll- und Lederknäuel auch noch, hier einfach so aufzutauchen und es ihr zu erzählen.
"Ich bin Monsterlina und ich ..." Wie hypnotisiert starrte Monsterlina auf einen einzigen Punkt. Neugierig folgte Tindra ihrem Blick. Inzwischen war sie sich sicher, dass die beiden keine Gefahr darstellten. Vielleicht konnten sie ja eine Nachricht mit nach Hause nehmen und sie dieser Geschichtenerfinderin überreichen? Dann könnte sie die ganze, verzwickte Situation auflösen, ganz bestimmt. Und dann wäre wieder alles wie früher, wie ...
Sie wäre nichts. Ihre Freunde - nichts. Juang - existierte nicht.
Gäbe es die Erfinderin nicht, gäbe es Mra'Theel nicht.
Tindra schluckte, dann zwang sie sich, Monsterlina zu beobachten. Mit grossen Augen starrte sie Arin an. Wie aus dem Nichts sprang sie auf, rannte um das Feuer und knallte gegen seine Schulter. Er spürte es noch nicht einmal. Als hätte das kleine Wesen zu viel getrunken und würde nur noch rosa Sterne sehen, schmiegte es sich an ihn.
"Was hat sie?"
Monsterchen seufzte. "Sie schwärmt für ihn, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hat."
Er hört sich um einiges vernünftiger an als die Kleine.
Tindra musterte den Kerl ganz genau. Dann eroberte ein breites Grinsen ihr Gesicht. "Wenn das hier nur eine Geschichte ist, dann bist auch du nur erfunden."
Monsterchen nickte ernsthaft. "Ich weiss. Aber ich muss nicht durch die ganze Scheisse, die dir noch bevorsteht."
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