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Hoffnung im Ewigen Winter

Auch dieses Jahr mache ich wieder beim Osterspecial des Autoren-Adventskalenders mit. :-D Zum Einstimmen auf den Frühling und für einen Hoffnungsschimmer, wenn der Winter noch so hart scheint, gibt es den Prolog von »Der Wintergöttin gefrorenes Herz«.

 

Wer weitere Geschichten, Gedichte und Leseproben entdecken möchte, der schwirrt zum Autoren-Adventskalender und stöbert bis tief in die Nacht hinein. 8)

 

Hoffnung im Winter

 

Die Stadt lag ruhig da. Nur aus zwei Fenstern drang schwaches Kerzenlicht auf die Strassen und erhellte die sternenklare und doch dunkle Nacht. Sie liebte Neumondnächte, denn sie verkörperten die vollständige Abwesenheit der Sonne und ihrer Wärme. Obwohl der weisse Schnee jeden Funken Licht reflektierte, hatte die Dunkelheit diesen Teil der Welt vollkommen im Griff.

 

Sie stand auf einem Hügel und überblickte den Ort, von dem eine andere Wärme strahlte. Eine, die niemals gedeihen, sondern für immer aus den Eisenbergen verschwinden sollte.

 

Als sie sich in Bewegung setzte, berührten ihre Füsse den Schnee, hinterliessen jedoch keine Abdrücke. Lautlos schwebte sie über die weiche Decke auf die schlafende Stadt zu, hin zu dem Quell, der ihr Vermächtnis bedrohte.

 

Die Strassen waren wie ausgestorben, doch das überraschte sie nicht. Nicht mehr. Seit jeher mochten die Menschen diese durchdringende Kälte nicht, die die Luft erfrischte und den Lebensgeistern neuen Schwung gab. Sie jagten sie davon, indem sie Feuer entzündeten und sich unter Decken verkrochen.

 

Wie armselig sie waren. So schwach.

 

Zögerlich schwebte sie über den festgetretenen Schnee. Er fühlte sich unnatürlich an, als wäre er in eine Form gepresst worden, die ihm nicht behagte. Die verwirrenden Gedanken abstreifend, konzentrierte sie sich auf ihr Ziel, ein Kind in seinem Bett.

 

Die Suche kostete sie nur wenige Augenblicke. Das Mädchen war warm wie die anderen Bewohner auch, doch es strahlte etwas anderes aus – etwas, von dem sie noch nicht sicher war, was es bedeutete. Doch Wärme könnte sie bedrohen, also musste sie sie vernichten, bevor sie ihr wirklich gefährlich werden konnte.

 

Beim Haus angekommen, horchte sie in die Stille. Noch immer regte sich nichts, doch wer sollte sie denn auch entdecken. Sie war Kälte. Sie war Winter. Sie war Eis.

 

Sie trat zur Eingangstür und fror das Schloss ein. Nur einen Moment später gab das alte Eisen unter ihrem Druck nach und die Tür schwang auf. Warme, muffige Luft schlug ihr entgegen. Nur mit Mühe widerstand sie dem Verlangen, die Armbeuge vor das Gesicht zu halten und den Gestank daran zu hindern, in ihre Lunge zu dringen.

 

Sie nahm sich keine Zeit, das Haus zu betrachten. Es interessierte sie schlicht nicht, abgesehen davon kannte sie ihr Ziel: das Kind im oberen Stock. Sie sollte nicht zögern, sich dem Leben der Menschen nicht annehmen, so faszinierend es auch sein mochte.

 

Ohne ein Geräusch zu verursachen, fand sie die Treppe und betrat sie. Bei einer Stufe knarrte das Holz, sie hielt den Atem an, doch im Haus regte sich nichts. Eilig schlich sie weiter und betrat das Zimmer des Kindes.

 

In einem karg eingerichteten Raum standen ein Bett, eine Kommode und ein Schrank. Unter einer dicken Decke schlief das Mädchen, das so voll Wärme glühte, dass es in ihrem Bewusstsein beinahe schon schmerzte.

 

Vorsichtig trat sie näher. Tatsächlich, in der Brust brannte etwas, das sie bisher noch nirgends sonst gesehen hatte, doch sie konnte es nicht benennen, noch nicht einmal einordnen. Ausser, dass es warm war. Und kräftig.

 

Sie hob ihre Hand über den schmächtigen Oberkörper des Mädchens und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Beinahe roch sie die Kraft des Kindes, die von dessen Brust ausging, so intensiv strahlte sie nach aussen.

 

Normalerweise wartete sie vor den Stadttoren, sandte den Traum von Frühling und Wärme hinein und liess die von ihr auserwählten Mädchen den Weg bis zu ihr allein gehen. Diesmal war sie zu neugierig gewesen. Sie hatte ergründen wollen, was diese Wärme verursachte, obwohl doch nur Kälte existieren dürfte, damit niemand verletzt werden konnte. Doch sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte das von dem Mädchen ausgehende Gefühl weder erfassen noch ergreifen. Die Magie war da und doch nicht.

 

Dennoch, es gab eine Quelle in dem Mädchen, etwas, das sie bisher nicht für möglich gehalten hatte. Sie musste versuchen, sie für sich zu gewinnen. Endlich könnte es gelingen, eine Nachfolgerin zu lehren, jemanden zu finden, der das Leben an ihrer Seite verbringen würde, ohne dabei zu weinen oder zugrunde zu gehen.

 

Vorsichtig und mit vor Vorfreude aufgeregt klopfendem Herzen wob sie das Versprechen des Frühlings, legte Hoffnung hinein – ihre eigene – und sandte sie zu dem Kind. Es atmete tief ein, blieb einen Augenblick regungslos liegen, dann hustete es. Unruhig drehte es sich von der einen Seite auf die andere, murmelte unverständliche Worte. Gleichzeitig wurde ihre Magie zurückgeschickt, als wäre es lediglich ein Lichtstrahl, der auf einen gefrorenen See traf.

 

Sie taumelte zurück, starrte das Mädchen an. Es hatte sich beruhigt, auf seinen Lippen glaubte sie, ein feines Lächeln zu sehen.

 

Unmöglich! Kein Kind konnte sich einfach so vor ihrer Magie schützen, erst recht kein schlafendes. Doch die Verlockung, die sie ihm gesandt hatte, rieselte zu ihr zurück und schien ihr zu sagen, dass das Kind schon längst eigene Träume hatte.

 

Das Mädchen könnte ihr gefährlich werden.

 

Sie trat einige Schritte zurück, verliess das Zimmer, ohne einen Plan zu haben, wie sie ein Kind aus dem Weg räumen konnte. Einerseits wusste sie, dass sie keine Wahl hatte, andererseits konnte sie ihre einzige Hoffnung auf eine Nachfolgerin nicht ohne Weiteres zunichtemachen.

 

Verwirrt und überfordert eilte sie hinaus, verliess die Stadt, betrat ihr Reich. Ein Kind, das ihrer würdig sein könnte. Eine Frau, die ihre Magie erlernen und sie ebenso vielfältig einsetzen könnte wie sie.

 

Oder eine Gegnerin, die sie zu vernichten drohte.

 

Egal, sie musste und würde einen Weg finden, die Gefahr unschädlich zu machen. Doch erst musste sie das Kind in ihr Reich locken. Ihr einen Handel anbieten. Sie testen. Dann konnte sie weiter entscheiden. Ja, das klang nach einem guten Plan.

 

Mit dem Zurückschicken ihrer Magie hatte das Mädchen ihr etwas geschenkt, von dem sie nie zu träumen gewagt hatte: Hoffnung.

 

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