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Ein Teufel, der keiner mehr sein wollte

Endlich ist es wieder soweit: Das Osterspecial des Autoren-Adventskalenders öffnet seine Türen, sodass das Warten auf den Osterhasen nicht ganz so lange dauert. ;-) Diesmal habe ich mich ein paar Jahrhunderte zurückversetzt und Arvid begleitet, wie er die Veränderungen der Osterbräuche wahrnimmt. Dazu kommt ein kleiner Hinweis zu meinem nächsten Buch, denn er ist dort auch zu finden. ;-)

 

Viel Spass beim Lesen! 


Arvid näherte sich dem Bach, dessen Wasser über Steine hüpfte und die Nacht mit seinem Rauschen erfüllte. Er lächelte, als sein Blick zum Dorf wanderte. Die Fenster der kleinen Kirche waren hell erleuchtet von den vielen Kerzen, die der Priester angezündet hatte. Ein neuer Glaube, der Einzug hielt.

Ein Seufzen kam ihm über die Lippen. In dieser Nacht hatten sich vor vielen Jahren junge Frauen an den Bach geschlichen, um sich sein Wasser zunutze zu machen. Es versprach Gesundheit und ein fruchtbares Leben. Doch über die letzten Jahre und Jahrzehnte waren es immer weniger geworden.

Schritte näherten sich ihm. Er kannte die Schwere, mit der sie auftraten, das leichte Humpeln, das man nur hörte, wenn man Keromir nicht sah. Es wäre zu viel gesagt, von ihm als Freund zu sprechen. Manchmal mochte er ihn, manchmal auch nicht. Aber vertraut hatte er ihm noch nie, und das würde sich auch nicht ändern. Das Schicksal hatte sie zu Gefährten gemacht.

Keromir holte tief Luft. »Es ist lange her.«

Arvid nickte. »Es kamen so viele und haben dem Bach gehuldigt. Sie haben an ihn und seine Kraft geglaubt, haben erkannt, dass er die Grundlage des Lebens ist. Nun beten sie zu einem Mann, den nie jemand gesehen hat, der keine Wunder wirken kann und alles verspricht, wenn man nur nett genug ist.« Gerade noch konnte er ein Schnauben zurückhalten. Zu viel wollte er Keromir nicht preisgeben.

Diesem schienen die Änderungen weniger auszumachen. Er sprach im Plauderton weiter, als würde er über den diesjährigen Geschmack des letztjährigen Weines sinnieren. »Sie hatten ja keine Ahnung, wie viel Macht im Bach wirklich steckt.« Einen Moment herrschte Stille, dann schnaubte er. »Na, es ist Wasser, so viel Macht kann es nicht sein.«

Arvid verengte die Augen und drehte sich zu seinem Bekannten um. »Wir haben keine Kontrolle über das Wasser. Wenn es will, kann es uns zermahlen.«

»Wie das steinerne Mühlrad einer Mühle, genau.« Keromir wirkte nicht, als würde er sich einen Scherz erlauben, doch Arvid fürchtete, dass er genau das tat.

Wenig begeistert wandte er den Blick wieder dem Dorf zu. Inzwischen strömten die Leute aus der Kirche heraus. Sie gingen wie auf Eiern, um die Flammen in ihren Händen nicht zu löschen. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über seine Lippen. »Weisst du, vielleicht haben sie es nicht ganz vergessen. In der heutigen Nacht segnen sie das Wasser und benutzen es, um Kindern, Eheleuten und Sterbenden alles Glück der Welt zu bescheren.«

»Es klappt nur nicht«, warf Keromir trocken ein.

»Wer weiss?« Arvid war nicht bereit zu glauben, dass es nicht klappte. Die Menschen waren nicht dumm. Er glaubte, tief in ihnen wussten sie, woher ihr Leben kam. Es war die wilde, ungezähmte Natur, eine Macht, die sie nie beherrschen würden – und auch nicht sollten. Doch sie spürten sie. Nicht nur, wenn der Wind an ihren Häusern zerrte oder ein über die Ufer tretender Fluss den Stall zerstörte. Sie fühlten es auch dann, wenn nur ein Windhauch ihre Wangen streichelte. Sie wussten es.

 

 

 

 

 

Eine Bewegung unterbrach seine Gedanken. Als er eine junge Frau erkannte, in ihrem Haar eine einfache Blume, hielt er den Atem an. In ihrer Hand trug sie ein kleines Gefäss. Sie versicherte sich, dass niemand sie sah oder ihr folgte, und beschleunigte ihre Schritte. Bald hatte sie das Ufer erreicht und kniete sich daneben.

Der Glaube war noch da! Er lebte!

Arvid konnte sich kaum vom Geschehen losreissen, so unspektakulär es auch war, doch sie mussten hier weg. Grob packte er Keromir am Arm und zog ihn in den Wald.

Dieser fluchte. »Was soll das? Bist du bescheuert? Sie war hübsch. Vielleicht hätte ich ihr auf dem Heimweg …«

Arvid war nahe daran, den Mann zu schlagen. Nicht nur, dass er kaum Respekt gegenüber den Menschen besass, er benutzte auch die Frauen, als wären sie nichts besseres als Vieh. Doch noch hielt er sich zurück. »Sie darf nicht gesehen werden«, zischte er.

»Ach komm, das spielt doch keine Rolle.« Unsicher lachte Keromir und fuhr sich durch das wirre Haar.

Arvid blickte ihn finster an. Beide wussten, wer dieses Duell und jedes andere gewinnen würde. Keromir wandte den Blick als Erster ab, und Arvid atmete auf. Manchmal war der Mann einfach zu viel. Zu viel von allem. Ausser gut.

»Wieso lässt du dich nicht auf die Menschen ein? Sie sind faszinierend.« Eigentlich war dieser Versuch für Keromir schon zu viel guter Wille. Dennoch konnte er es nicht sein lassen.

Keromir rollte mit den Augen. »Sie sind schwach und dumm und erkennen nicht, wer ihre wahren Meister sind.«

Arvid atmete tief durch. »Wir sind nichts. Weder Mensch noch Naturgeist. Ich will das nicht mehr.«

»Du kannst dich zu keinem von denen machen«, blaffte Keromir.

 

 

 

 

 

 

Arvid ging voran zum Tansee, der direkt vor dem Dorf lag und wie eine schwarze, gefährliche Fläche schillerte. Er liebte seinen Klang. Doch er wusste auch, dass das Wasser ihm gefährlich werden könnte. Nichts war so Furcht einflössend wie der Druck von Wasser am ganzen Körper, zu fühlen, wie unsichtbare Hände nach den Knöcheln griffen und versuchten, ihn in die Tiefe zu zerren.

Schliesslich seufzte er. Er wusste, dass er Keromir noch eine Antwort schuldete. »Nein, das kann ich nicht. Aber ich kann wie einer von ihnen werden.«

Er senkte den Blick auf seine Hand. Nach nur wenigen Augenblicken schimmerte sie in einem tiefen Rot, das sich kaum gegen die Nacht abhob. Immer stärker wurde das Leuchten. Über seine Beine floss die Kraft des Gesteins durch ihn hindurch und manifestierte sich in seiner Hand. Ein dunkelroter Rubin erschien in seiner Hand.

Er tastete über die glatte Oberfläche. Ein perfekter Edelstein, den er bestimmt gut an ein Adelshaus hätte verkaufen können. Doch dieses Schmuckstück war für ihn bestimmt. Sollte er jemals wieder Edelsteine herstellen, so würde es ihn deutlich mehr Kraft kosten als soeben.

Nach einem tiefen Atemzug schloss er die Augen und konzentrierte sich auf den Sturm in seinem Bauch. Er tobte unentwegt, rief ihm zu, sich an Leuten zu rächen, die er eigentlich mochte. Wie ein wütendes Rauschen zwang es ihn, Dinge zu tun, die er nicht wollte. Besonders schlimm war es, wenn er ausgeruht war und die Kraft auf seine Reserven zurückgreifen konnte. Er war dann beinahe unbesiegbar.

Aber auch unberechenbar.

 

 

 

 

 

Er öffnete die Lider und blickte direkt in Keromirs gieriges Gesicht. Dieser starrte auf den Stein, wusste genau, was er bedeutete. Macht – mehr, als er selbst jemals haben würde. Wie ein Blitz schnellte seine Hand nach vorn, doch Arvid war schneller. Fest umschloss er den Rubin, hielt ihn von seinem Bekannten weg.

»Gib ihn mir, wenn du ihn nicht willst«, flüsterte Keromir.

Langsam schüttelte Arvid den Kopf. Diesem unberechenbaren Mann würde er nichts anvertrauen, das ihn mächtiger machen konnte. Er wäre eine Gefahr, für ihn und die Menschen. »Nein«, sagte er deshalb bestimmt.

Ehe Keromir reagieren konnte, drehte er sich um, holte mit dem Arm aus und warf den Stein so tief in den See, wie er nur konnte. Er wollte nicht mehr Sklave seiner Macht sein, sondern frei. Was geschehen war, durfte sich nicht wiederholen. Er war ein Teufel, der beschlossen hatte, keiner mehr zu sein.

»Spinnst du? Den bekommen wir da nie wieder raus!«, rief Keromir mit Verzweiflung in der Stimme. Er trat in den See, machte ein paar Schritte und gab dann auf. Auch ihn mochte das Wasser nicht. Wasser und Stein konnten nicht miteinander existieren.

Arvid drehte sich weg und sah die Kirche, in der noch immer Lichter brannten. Die Osternacht, so sagten die Christen, wasche alle Sünden rein. Alte Bräuche verschwanden, neue entstanden. Sie wandelten sich, wurden zu dem, das die Menschen gerade brauchten. 

Er würde nie einer von ihnen sein, nicht wirklich jedenfalls. Doch vielleicht würde er in einhundert oder zweihundert Jahren in der kleinen Kirche sitzen, mit ihnen die Gebete sprechen und hören, wie jemand sagte, dass all seine Vergehen vergessen seien.


Wer noch nicht genug hat, kann gerne beim Adventskalender nach weiteren Geschichten und Beiträgen suchen. Die alten Beiträge sind nach wie vor aktuell! :-D

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